Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
Scroggs an. »Diesmal ist er wirklich übergeschnappt, Dick. Geben Sie ihm was zu trinken.«
»Habe ich gerade«, sagte Scroggs, ganz Truebloods Meinung, was den Bericht über Jury betraf.
Eine neue Stimme ertönte, alles andere als glockenhell. Sie klang, als schlage ein rostiger Klöppel dumpf gegen Metall. Mrs. Withersby, deren Glas so leer war wie der Teller, den sie im Sonntagsgottesdienst herumgab (Manche sind nicht christlicher als ..., pflegte sie dann dem Pfarrer zu sagen), kam herbei, um ihrerseits finstere Prognosen abzugeben, und sie wurden um so finsterer, je länger sie darauf warten mußte, daß ihr Glas wieder gefüllt wurde. »Wissen Sie, die Familie war immer ein bißchen -« Dazu beschrieb sie mit dem Finger kleine Kreise auf ihrer Schläfe und größere mit ihrem Glas auf dem Tresen. Hinter dem Ohr hatte sie eine Zigarette stecken, aber von der wollte sie sich nicht trennen. Sie bat Marshall Trueblood um einen von seinen Glimmstengeln. »Guckt ihn euch an, ganz in Weiß tanzt er hier an. Dafür ist braunes Bier aber nich gut ... ah, besten Dank auch«, schloß sie ihre Rede, als Melrose ihr sein unangetastetes Glas zuschob. Glücklich zog sie mit ihrem Glimmstengel und dem Halben ab.
Melroses Augen waren immer noch verschleiert. Er schüttelte schnell den Kopf, um wieder einen klaren Blick zu bekommen.
»Hören Sie, alter Knabe. Sie brauchen Ferien.«
»Wir sind doch gerade aus Italien zurück, Sie Idiot.« Die Nachricht hatte ihn so aufgeregt, daß er wahrhaftig die grüne
Sobranie nahm, die sein Freund ihm anbot. »Ich fahre in den Lake District.« Er zog heftig an der Zigarette und hustete.
»Machen Sie sich nicht lächerlich.« Trueblood schauderte
es.
»Southey?« Der Name schmeckte genauso fremd wie die leuchtendgrüne Zigarette, die Melrose rasch ausdrückte.
Scroggs schüttelte den Kopf, die Augen immer noch auf seine Zeitung geheftet. »Cumbria, Mylord. Im Norden.«
»Hat Theo noch auf?« Melrose sah auf die Uhr.
»Warum? Ja«, sagte Trueblood. »Der alte Pfennigfuchser hat jeden Abend bis sieben, halb acht auf. Sie gehen doch nicht zu ihm?«
Melrose antwortete nicht, sondern eilte zur Tür hinaus.
Die Tür des Wrenn’s Nest Book Shoppe stand auf, bereit, die steifen Märzwinde so lange einzulassen, wie sie Kunden hineinbliesen.
Theo Wrenn Browne, der Geschäftsinhaber, saß wie ein Habicht auf seiner Bibliotheksleiter und setzte den Preis für eine Erstausgabe herauf. Er nannte sich Antiquar, aber meist war er im Dekollete einer amerikanischen Bestsellerautorin (dem Bild hinten auf dem Umschlag) oder in seine Kassenlade vertieft, als wollte er seinen eigenen Laden ausrauben.
Heute jedoch saß er genau in der richtigen Höhe, um auf Melrose Plant herabzusehen, den er verabscheute, wenn auch nicht so sehr wie Marshall Trueblood. Den haßte er abgrundtief. Höchstwahrscheinlich, weil Truebloods sexuelle Orientierung, aus der dieser auch gar keinen Hehl machte (was Theo mit Freuden sah), doch nicht ganz eindeutig war; während keine Klappe stabil genug war (kraß ausgedrückt), um Theo Wrenn Browne festzuhalten. Er dachte zwar, er sei in seinen staubigen Ecken vor aller Welt gut verborgen, aber er war eine so auffällige Tunte, daß er sogar aus den tiefsten Tiefen der Londoner Silver Vaults herausknallen würde.
Wenn er Melrose Plant (Long Pidds populärstem Bürger) oder Marshall Trueblood (dem farbenprächtigsten Dorfbewohner) seine Überlegenheit beweisen konnte, verschluckte er sich fast vor Wonne. Als er nun herausfand, daß er über die Dichter des Lake District mehr wußte als Plant, geriet er auf seinem hohen Sitz regelrecht ins Wanken. »Wenn ich Sie recht verstehe, meinen Sie Robert Southey.«
»Gibt es denn noch mehr Dichter, die Southey heißen?« fragte Melrose unschuldig.
Theo witterte Ironie (wo keine beabsichtigt war), und sein nein war genauso kurz und knapp wie das Zuschlagen des Buches. Er stieg herunter, schob die Leiter ans andere Ende der Regale und ärgerte sich, daß er keine Southey-Gesamtausgabe hatte. »Hier ist ein Band Gesammelte Werke. Wordsworth, Coleridge, De Quincey, Southey.« Er gab Melrose das schwere Buch.
»Es geht mir nicht um die Gedichte. Die Lyrischen Balladen habe ich gelesen. Etwas über ihr Leben, außer dem ganzen Gelaber über Dorothy und William. Und haben Sie nichts Kürzeres? Ich habe nur bis morgen Zeit, um es mir einzupauken. Was ist mit den Schülerausgaben?«
Theo Wrenn Browne war schockiert. »Sagen Sie bloß, Sie
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