Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
Gästen am Tresen, sein Stift war ständig in Bewegung, »ist sie angeblich von so einem kleinen Felsen am Rand des Waldes gesprungen. Sie landete am Ufer von Wast Water. Es wurde als >Unfall< deklariert.«
»Mein Gott.«
Connie Fish machte hinter dem Tresen einen halbherzigen Versuch, die Sperrstunde anzusagen. Fellowes hielt ihre Gläser hoch. Als die Getränke kamen, suchte er nach Kleingeld, doch Melrose war schneller.
»Ah, danke. Ich bin der typische Hungerkünstler, der entfernte Cousin. Ich sollte dankbar sein, daß sie mir das Pförtnerhaus überlassen, aber es gelingt mir einfach nicht.«
Fellowes hielt das Glas hoch. »Ich frage mich, warum nicht einfach einer den Giftbecher kreisen läßt und uns alle auf einen Schlag abmurkst, statt dieser Salamitaktik. Prost.«
Er musste mit Millie reden.
Vielleicht war es nur ein schwacher Trost, aber Millie würde verstehen, wie er sich fühlte, weil ihr dasselbe passiert war.
Nicht genau dasselbe natürlich, denn er wußte, daß seine Mutter sich nicht umgebracht hatte. Annie Thale hatte sich umgebracht. Obwohl alle, auch die Polizei, Millie gegenüber immer nur von einem Unfall gesprochen hatten.
Millie wußte es besser.
Es war zuviel. Erst der Selbstmord seines Vaters, nur drei Wochen später Millies Mum, und jetzt glaubte die Polizei offenbar, daß seine Mutter sich auch umgebracht hatte. Es war einfach zuviel.
Alex dachte an damals, vor fünf Jahren, als sie ihr, Millie, erzählt hatten, daß ihre Mutter tot sei. Ein Gewühl von Leuten, ein ewiges Hin und Her, ein Durcheinander gedämpfter und lauter Stimmen. Er sah Millie immer noch in der hintersten Ecke der Küche stehen, sechs Jahre alt, mit ihrer Schürze, sie zitterte. Ihre Mutter war bei den Holdsworths Köchin gewesen und hatte auch ihr Kochen beigebracht. Millie hatte den hölzernen Probierlöffel in der kleinen Hand, um die Suppe umzurühren. Niemand hatte ihr nahekommen wollen, als würde ihr Zittern das Haus in seinen Grundfesten erschüttern und seinen Zusammenbruch prophezeien. Alex hatte auf den Tod seines Vaters nicht so heftig reagiert. Er hatte ihn zwar geliebt, ihm aber nie wirklich nahegestanden und seinen Tod mit einer gewissen Distanz erlebt, als ob seine eigenen Gefühle durch die seiner Mutter gefiltert worden wären. Sie hatte ihn gegen das Schlimmste abgeschirmt.
Millie hatte keinen solchen Schutz. Sie hatte keinen Vater, keine Angehörigen, nur eine »Tante Tom«, bei der sie (wie sie allen kundtat) nicht leben wollte. Während die anderen heimlich planten, sie schnellstens nach London zu Tante Tom zu schaffen, hatte sie Adam Holdsworth erzählt, diese Frau sei schrecklich und werde sie schlagen. Damit hatte sich Millies Umzug nach London erledigt. Sein Urgroßvater mochte Millie sehr gem. Als er Hawkes’ schneidende Bemerkung hörte, daß Millie ein illegitimer Sproß sei, hatte Adam ihn angeblafft, daß er noch nie gesehen habe, wie Hawkes einer legitimen Beschäftigung nachgegangen sei, er solle den Mund halten!
Nach dem Tod von Alex’ Vater war Annie Thale wochenlang deprimiert gewesen. Sie hatte (erzählte ihm seine Mutter) seinen Vater sehr gern gehabt, und sie war es gewesen, die ihn gefunden hatte - nach diesem schrecklichen »Unfall«.
Die Familie, das Dienstpersonal, alle schienen vor Millies Reaktion richtiggehend Angst zu haben. Man hätte meinen können, das kleine Mädchen habe die Macht, über die Menschen hier ein entsetzliches Verhängnis zu bringen. Sie gab ihnen die Schuld am Tod ihrer Mutter. Wast Water. Dieser schreckliche See. Es war Hochsommer gewesen und der See sehr blau, fast so blau wie der Coniston und der Ennerdale. Jetzt haßte Millie alle Seen.
Und sie war (wie Alex) verschwunden. Zwei Tage später hatten sie sie am Ende eines kleinen Trampelpfades gefunden, einem schmalen, ausgefurchten Pfad, der nach unten führte, zum See. Hände, Gesicht und die weiße Schürze waren voller gelber Flecken. Sie hatte sämtliche Osterglocken ausgerissen, die sie finden konnte, alle ausgerissen und zerfetzt. George hatte sie gefunden.
Mit dem , hatte er gesagt und auf den schwarzen Kater gezeigt. Es muß ein wildes Tier sein. Der Kater habe ihn angesprungen (behauptete er) und sich dann still wie eine Statue neben Millie gesetzt, die auf einem Teppich zerquetschter Osterglocken saß.
Millie würde wissen, wie er sich fühlte.
Es war nach elf, stockdunkel, und er konnte es wagen, zum Haus zu gehen. Das Problem war Hawkes, der manchmal bis in die frühen
Weitere Kostenlose Bücher