Grimes, Martha - Mordserfolg
Du bist doch wohl nicht auf diesen billigen Trick hereingefallen! Auf diese Masche mit »würden Sie mir das bitte signieren?«! Aber dann standen die beiden neben den Aufzügen und wollten offensichtlich zusammen irgendwo hinfahren, und der einzige Ort, an den die Aufzüge fuhren, war nach oben. Sally war unschlüssig, was sie nun tun sollte. Vermutlich würde sie einfach hinauffahren und sich vom Zimmerservice etwas bringen lassen.
Clive hatte die drei an der Theke sitzen lassen und war gegangen, kurz nachdem er Ned und Blaze hatte weggehen sehen. Er hatte keine Ahnung, weshalb Blaze diese spezielle Art der Annäherung für nötig hielt, um Ned »im Auge behalten« zu können, doch es erfüllte zweifellos die Kriterien. Er trat aus dem Aufzug und ging den von winzigen Lämpchen in schummriges Dämmerlicht getauchten Korridor entlang. Clive sah einen blonden Lockenschopf aufblitzen, als ein Kopf aus einer Tür lugte, offenbar um den Grund für eine Störung ausmachen zu wollen. Ein Stück weiter rückte eine Hand das Schild mit der Aufschrift »Nicht stören« zurecht, und er meinte, einen roten Haarschopf erkennen zu können. Ganz am anderen Ende des Korridors (der in einen weiteren Flur mündete) trat der Mann im Kaschmirmantel aus einem Zimmer und verschwand um die Ecke.
Himmel noch mal! Wohnten sie etwa alle auf einer Etage? Gingen ihre Zimmer sogar vom selben Flur ab? Hatte man sie durch einen verrückten Zufall bei der Buchung etwa alle zusammen untergebracht?
Ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihm, dass es fast zehn war. Wie war das möglich? Wie um alles in der Welt hatte er so viel Zeit in der Bar verbringen können und sich dabei nicht einmal amüsiert? Beim Zimmerservice bestellte er Kaffee und einen croque monsieur, zog sich aus und fiel ins Bett. Dass der Kellner kam und wieder ging, nahm er wie im Traum wahr. Zwischen Schlaf und Wachzustand auf- und abtauchend fragte er sich, ob er lang genug wach bleiben konnte, um sein Sandwich zu essen.
Da hörte er Gesang.
Nicht, dass die Stimmen besonders laut gewesen wären, sie waren eher von dieser schneidenden Art, die so leicht durch Türen und Wände drang, wie ein Messer durch Butter glitt. Clive war froh, dass er vorhin gegangen war, bevor diese Burschenschaftsparty begonnen hatte. Die Stimmen kamen näher, näherten sich seiner Tür. Demnach waren Dwight, Candy und Karl ebenfalls hier oben untergebracht!
»Waltzing Matilda,
Waaaaltz-ing Matilda,
You’ll come a-waaaltzing Matilda with meeeee.«
Als sie an Clives Tür vorbeikamen, legten sie sogar einen kleinen melodischen Akkord ein, als wollten sie zu ihm sagen: Ist doch furzegal, dass wir nicht schreiben können! Dafür können wir singen!
32
Ned stand wieder vor einem Isaly’s, einem kleinen Laden in einer Reihe mit mehreren anderen kleinen Läden – einer Buchhandlung, einem Eisenwarenladen, zwei kleinen Modegeschäften – und überlegte, ob er noch einmal ein Pistazieneis in der Tüte wollte. Dann überlegte er, ob er es schon damals gegessen hatte, als er acht Jahre alt gewesen war. Wahrscheinlich nicht. Damals hatte er vermutlich keinen so abenteuerlichen Geschmack gehabt, sondern sich eher an Schokolade und Kirsch gehalten. Er wusste es aber nicht mehr.
Er wünschte, er wäre mit der Vergangenheit nicht so nachlässig umgegangen. Man fing immer zu spät an, Sachen aufzubewahren, Sachen zu sammeln, Tagebuch zu führen. Seine Eltern waren innerhalb eines Jahres kurz nacheinander gestorben, und er war zum Waisenkind geworden. Seine Mitmenschen sorgten dafür, dass er sich dieses Unglücks auch besonders bewusst war, als wäre er mit seinen Eltern ebenso nachlässig umgegangen wie mit der Vergangenheit und könnte nun sehen, was es ihm einbrachte. Hinter den betont betrübten Mienen hatte er ihre unterschwellige Missbilligung gespürt.
Was Ned von seiner Kindheit noch in Erinnerung hatte, war nicht Liebe, sondern der Trost für deren Fehlen, und Trost hatte es in vielfältiger Form gegeben. Obwohl er es gar nicht gekannt haben konnte, hatte es Forbes Field gegeben, Jackie Robinson und Stan Musial mit dem Schläger, der sich wie eine Schlange wand, und Panther Hollow und East Liberty, und Smog im Morgengrauen und Nachmittagssmog, der um die Mittagszeit die ganze Stadt verfinsterte – nein, das hatte unmöglich seine eigene Erinnerung sein können, eher die Erinnerung an ein Bild in einem Buch. Aber dieses wunderbare Pittsburgh, wo die Luft viel zu schmutzig zum Atmen war,
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