Grimes, Martha - Mordserfolg
hier, weil sie nämlich ihre Memoiren schreibt, wie sie als Kind von ihrem Vater, ihrem Bruder, ihrem Onkel und ihrem Cousin missbraucht wurde – Sie wissen ja, typische Memoiren – und was für ein tolles Buch es wird –›Wenn Sie je dazu kommen, es zu schreiben‹, sage ich. Darauf sie: ›Och, tu ich aber doch. Ich bin sagenhaft diszipliniert.‹ Sagenhaft !« Nun hörte sogar Jimmy auf, sich zu ärgern, und lachte.
»Sie lässt nicht locker. ›Dann nehm ich an, du willst nicht vögeln? Richtig?‹«
Paul schnaubte wieder vor Lachen.
»›Das nehmen Sie richtig an. Und jetzt gehen Sie, okay?‹
›Is ja gut! Is ja gut!‹ Sie gibt mir die Winstons zurück, und ich sage, sie kann die Schachtel behalten. Inzwischen ist es zwei oder drei Uhr nachmittags, und ich bin am Verhungern. Als ich nachschaue und mein Mittagessen nicht da ist, denke ich, die wollten es wegen dem Nicht stören-Schild nicht hinstellen. Hat Hemingway nicht mal gesagt, man könne bloß mit leerem Magen schreiben?«
Paul wusste es nicht und hatte auch nicht die Absicht, es herauszufinden. »Essen Sie den Kuchen eigentlich noch?«
In Gedanken bei seiner Hütte im Wald, schob Jimmy ihn ihm hinüber.
»Danke. Und dann?«
»Endlich kriege ich diese Strophe hin, den analysierten Reim. Wissen Sie –?«
»Bestens. Weiter.«
»Sieben oder acht von diesen so genannten Schriftstellern, darunter Marie und die irischen Idioten – diesmal ohne Montecristo, denn sie wissen, dass sie im Haupthaus was zu trinken kriegen –, kommen an und treiben mich buchstäblich aus der Tür und zum Abendessen hinüber. Mir war klar, dass es sich nicht vermeiden ließ, ich musste ja schließlich was essen, obwohl ich mich nicht besonders darum riss, mit einem ganzen Wald voller Scheißschriftsteller von dieser Sorte zusammen zu sein. Wir marschieren also zum Haupthaus, wo ich angenehm überrascht werde – aber bloß fünf Minuten –, als ich sehe, dass die übrigen fünfzehn bis zwanzig Leute relativ ruhig und relativ nüchtern sind. Ich stehe also am Getränketisch, als ein langer Lulatsch, der aussieht wie der sprichwörtliche Poet – langer Schal, schwarze Haare, verschlafener Blick, als fände er es fast unerträglich, jemandem anderen zuzuhören als sich selbst – also, den frage ich, woran er denn gerade arbeitet. Da stellt sich raus, er ist gar kein Dichter, sondern Bildhauer. Da war ich erst mal völlig geplättet, weil ich von Bildhauerei nämlich nichts verstehe, absolut null. Ich sage zu ihm: ›Wundert mich ja, dass es hier, äh, auch Material für Bildhauer gibt.‹ Sehr geistreich, was? Er sagt: ›Hm, gibt’s aber nicht, oder? Man bringt sein eigenes mit, oder?‹ und zieht ab.
Ich habe dann eine andere Masche versucht, um mit einer Frau ins Gespräch zu kommen, die eine wahnsinnig üppige Haarmähne hatte, dass es aussah, als hätte sie sich von anderen Leuten noch was dazugeborgt. Auf beiden Kopfseiten stand es wie Flügel ab, und nach einer banalen Unterhaltung, wozu hauptsächlich ich die Banalitäten beisteuerte, fand ich, dass ich mit den Rum-Säufern und Dylan-Deklamierern besser dran war als mit den anderen, die entweder unerträglich hochnäsig oder unerträglich langweilig waren oder beides. Als an dem Abend dann wieder eine Orgie stieg, ergab ich mich einfach meinem Schicksal und zog am Sonntagmorgen dann ab. Auf der Rückfahrt nach New York machte ich unterwegs in einem Red Roof Inn Station und schlief erst mal eine Runde.«
Paul, der inzwischen Jimmys Apfelkuchen vollends verdrückte, fragte sich, woher plötzlich diese Stille kam. In Jimmys Redefluss hatte die Luft um ihn herum förmlich geknackt – ah! Er hatte aufgehört! Das war’s also. Paul, den Klang seiner eigenen Stimme gar nicht mehr gewöhnt, sagte daraufhin: »Dann nehme ich also an, das halbe Jahr in Yaddo ist nichts für Sie.«
»Richtig, Mann.« Jimmy trank seinen kalten Kaffee und machte der Kellnerin ein Zeichen.
»Dann denken Sie jetzt wahrscheinlich, Sie hätten Ihr Zuhause mehr schätzen gelernt.« Paul war enttäuscht.
»Soll das ein Witz sein? Von wegen. Ich weiß es sogar noch weniger zu schätzen. Das hängt doch alles miteinander zusammen. Eins habe ich allerdings gemerkt, nämlich wie sehr ich das Alleinsein zu schätzen weiß. In den paar Stunden direkt nach meiner Ankunft war ich richtig unbeschwert. Alleinsein, Ungestörtheit, verdammt, das ist vielleicht das größte Geschenk, das man finden kann.« Jimmy legte den Kopf in den Nacken. »Hier
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