Grimes, Martha - Mordserfolg
Familienname – oder jedenfalls sah es so aus, als wäre es nicht der Familienname des Eiskremimperiums. Da, es waren die Initialen: I.S.A.L.Y.
I Shall Always Love You.
Ned war gar kein Eiskrem-Isaly! Sally stützte den Kopf in die Hände. Sie konnte einfach nicht anders – sie weinte.
I shall always
love you
43
Er stand an seinem Fenster, das auf den Jardin du Luxembourg hinausging (so stellte Ned es sich beim Anblick des kleinen Parks jedenfalls vor), wo Nathalie immer noch auf der grünen Bank saß, auf der er sie verlassen hatte. Nein, sie hielt einen Brief in der Hand, was bedeutete, dass sie in ihre Wohnung auf der Île Saint-Louis zurückgegangen sein musste.
Wann hatte sie das getan?
Ned wartete. Er dachte nach. Er kannte die Herkunft des Briefes. Sollte sie ihn einfach nur in der Hand halten? Oder sollte sie ihn lesen?
»Meine liebste Nathalie, wir wussten beide, dass es irgendwann einmal enden musste –«
Sie wollte das Papier in Fetzen reißen. Dieses »wir wussten beide« brachte sie in Rage, und wie die Wolke, die sich gerade über die Sonne geschoben hatte, blockierte diese Wut ihre Traurigkeit. Wir wussten beide. Noch nie hatte Patric sich so feige gezeigt. Allerdings, fragte sie sich, wann hatte er sich denn schon einmal als tapfer erweisen oder Rückgrat zeigen müssen? Hatte sie jemals Ansprüche an ihn gestellt oder ihn zu einer Entscheidung gezwungen? Nein, denn sie wusste, wie er sich entscheiden würde. Also war vielleicht sie der Feigling.
»Wir wussten beide…« Ja, aber hatte sie es wirklich gewusst? Sie hatte es immer befürchtet, aber hatte sie wirklich gewusst, dass es einmal zu Ende sein würde? Und in dieser niederträchtigen, hasenfüßigen Art ging der Brief weiter: dass er nach Roquebrun unterwegs war und dass diese Fahrt nun den Anlass für seinen Abschied von Nathalie bot. Auge in Auge war er dazu nicht in der Lage…
Ned meinte, sehen zu können, wie sie sich auf der Bank umdrehte und zu seinem Fenster hochsah, zu ihm. Und sie sagte:
Warum hast du das getan? Warum konnte diese Geschichte nicht ein bisschen glücklicher ausgehen? Oder wenigstens in einer etwas heitereren, zuversichtlicheren Stimmung –?
Weil ich nicht wusste, dass sie endet, dachte Ned.
Soll ich dann jetzt bis in alle Ewigkeit hier sitzen?
Nein.
Was dann? Was denn dann? Selber rühren kann ich mich ja nicht. Das war immer das Problem. Ich muss hier sitzen, weil du mich hier zurückgelassen hast, mit diesem Brief in der Hand, und jetzt weine ich mir wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit die Augen aus, weil du es nervlich nicht durchstehen konntest. Du denkst, es wäre sentimental –
Nein, das ist es nicht. Nathalie und Patric gehören nicht zusammen.
Rede gefälligst nicht von mir, als wäre ich überhaupt nicht da!
Also gut: Du und Patric, ihr gehört nicht zusammen. Ihr hättet kein gemeinsames Leben aufbauen können.
Wegen seiner Frau und der Kinder? Meinst du, er wäre dann in Gedanken immer bei ihnen? Was für ein Klischee!
Nein, nicht deswegen. Sondern weil ihr euch im Grunde nicht liebt.
Was? Was? All die Nächte in meiner Wohnung, die langen Wochenenden in der Provence…?
Du redest jetzt von Leidenschaft. Das ist eine seltsame Art, Liebe zu beschreiben, wenn du mal recht überlegst. Liebe ist viel eher das Einatmen von Alltagsluft. Schau mal: Du musst doch nicht dir die Schuld an allem geben. Es liegt nicht alles nur an dir. Da ist auch noch Patric. Er war schon immer viel selbstsüchtiger als du.
Und er ist nicht hier, um sich zu verteidigen, stimmt’s?
Muss er gar nicht. Du wirst ihn schon verteidigen.
Sie wollte etwas sagen und hielt inne. Sie versuchte, von der Bank aufzustehen – und konnte nicht.
Ned, schau mal: Du hast mich den ganzen Weg bis hierher gebracht, du hast mich über vierhundert Seiten behütet, wir sind herumgewandert – ohne dass viel passiert wäre, möchte ich hinzufügen –
Dein Tonfall ist unnötig scharf, findest du nicht?
–durch den Jardin des Plantes und den Jardin du Luxembourg – ach! Wie viel Zeit wir dort verbracht haben! All die Cafés am rechten Seineufer (die Goldküste, hast du es genannt), die Rue de Rivoli, der Boulevard Haussmann, auf der Île de la Cité sind wir herumgeschlendert, bei Notre-Dame.
Unvermeidlich in einem Buch über Paris, da wirst du mir doch zustimmen.
–der Boulevard Saint-Germain, Café de Flore, Aux Deux Magots, Hemingways Lieblingstreffpunkte (viel zu oft in der Literatur verwendet,
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