Grimes, Martha - Mordserfolg
Frost?«
»Natürlich, wer mag ihn nicht? Machen Sie das, Jimmy. Ein Wochenende. Wenn Ihnen das Ganze nicht gefällt, dann war’s das eben. Wissen Sie was – werden Sie ein Jahr lang mein Agent, kratzen Sie genug Geld zusammen, um mindestens zwei Jahre pausieren zu können. Ich werde Mort sagen, es ist nur vorübergehend, mir fällt schon ein Grund ein, wieso ich das mache.«
»Es gibt einen: Altruismus.«
Paul schnaubte unwillig, während er der Bedienung ein Zeichen machte. »Nein. Ich bezweifle, dass ich je etwas aus diesem Grund gemacht habe – zumindest nicht ausschließlich, vielleicht nicht einmal größtenteils. Nein. Ich will etwas sehen.«
Die Bedienung legte ihm die Rechnung hin. »Ich will sehen, wie weit Sie gehen.« Jimmy musterte ihn spöttisch. »Wie weit ich gehe?« Paul nickte und legte einen Geldschein zur Bezahlung hin. »Genau. Wie weit Sie gehen.«
20
Was er da hörte, gefiel Paul Giverney gar nicht. Es gefiel ihm überhaupt nicht. Er klappte sein Handy zu und fläzte sich in einen der billigen Plastikschalensessel, die auf dem Dachboden standen für den Fall, dass Mieter dort oben einmal feiern wollten.
Paul hatte im Mantel dagesessen und Pfeile auf die Dartscheibe geworfen, die er, immer wenn er in der Stimmung dazu war, vom Wohnzimmer in sein Arbeitszimmer oder auf den Dachboden schaffte. Das Dartspiel war für ihn das, was der Schnaps für Alkoholiker war: Man konnte damit Erfolge feiern, Fehlschläge abfedern, auf einer Party im Mittelpunkt stehen, sich am Strand einigeln oder –
Mit anderen Worten: Es ging immer und überall. In einem der zahlreichen Artikel über ihn in einer Zeitung oder Zeitschrift hatte ein Journalist einmal behauptet, das Dartspiel helfe ihm wohl, Schreibprobleme zu lösen. Darts tat nur eines, hatte Paul ihm gesagt: Es zwang einen, sich auf die verdammte Zielscheibe zu konzentrieren.
Die Dartscheibe lehnte am Dachgeländer, und jedes Mal wenn er aufstand, um die Wurfpfeile einzusammeln, gönnte er sich einen Blick auf das nächtliche Manhattan. Für Paul war die Skyline immer ein Genuss. Er liebte das Metropolitan Life Building und das Chrysler Building über alles. Er war nicht imstande, eine Zeile zu Papier zu bringen, wenn er nicht diese umwerfende Aussicht auf Manhattan hatte. Das war vor allem deshalb merkwürdig, weil keins seiner Bücher hier spielte. Wenn die Leute, seine Leser, von ihm wissen wollten, wo er denn meistens schreibe, antwortete er (mit einem gewissen Stolz) »hier in New York«. Nach dieser relativ langweiligen Eröffnung blätterten sie in Gedanken das Verzeichnis möglicher Schauplätze durch und waren enttäuscht. Das inspirierte doch keinen! Sie wollten ein exotischeres Ziel mit nach Hause tragen, zusammen mit dem Buch, das er soeben signiert hatte (immerhin hatten sie dafür eine Stunde Schlange gestanden). Ja, New York als Antwort betrübte sie, machte das Lächeln in ihren Gesichtern trauriger, so dass er sich über das kleine Tischchen zu ihnen hinbeugte, ihren Blick suchte und ihnen die Wahrheit sagte: »Es ist der einzige Ort, an dem ich schreiben kann.« Dieses ehrliche Eingeständnis einer New Yorker Neurose zauberte das Lächeln aber nicht wieder her.
Man hatte ihn sogar gezwungen, einen Psychiater aufzusuchen, den ihm ein Freund einmal empfohlen hatte, dessen eigene Geistesverfassung sich nicht gebessert hatte, nachdem er drei Jahre bei diesem Arzt in Behandlung gewesen war. Er war noch immer der Gleiche wie in den vorausgegangenen vierzig Jahren. Pauls Freund hielt große Stücke auf Dr. Nutley (trotz des ulkigen Namens) und sagte, der sei sowohl Downtown als auch bodenständig. Ein toller Kerl!
In Downtown Manhattan war Nutleys Praxis zwar schon (in der 22. Straße), doch was das »Bodenständige« anbetraf, war Paul sich nicht sicher, welcher Erdboden gemeint war. Paul wäre es auch nie in den Sinn gekommen, ihn als einen »tollen Kerl« zu bezeichnen. Diesen Nutley mit seinen Tweedanzügen und dem Bart, seiner leichtfüßigen Belesenheit, mit seinen Zitaten aus gelehrten Büchern und Artikeln und seiner entschiedenen Überzeugung, dass Wünsche und Ängste tout de suite zur Sprache zu bringen seien, denn wozu sei man sonst da? In die Kategorie »toller Kerl« gehörte der brave Doktor jedenfalls nicht. Pauls Problem betreffend, erteilte Dr. Nutley keinerlei Ratschläge. Man hätte Nutley als das beste Beispiel für Nichteinmischung in die Angelegenheiten eines anderen Menschen bezeichnen können, das
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