Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
Tolle in die Stirn, knabberte an seiner Unterlippe herum, strich sich die Tolle wieder aus der Stirn.
    »Was hast du?«
    »Die Karte«, sagte er, »etwas daran stimmt nicht ganz.«
    »Was?«
    »Keine Ahnung. Sie sieht irgendwie komisch aus.«
    Vesper schaute auf die riesige Landkarte. Hier und da waren bedeutsame Punkte markiert. Das mochten die Refugien sein.
    »Sie sind überall in Europa.« Es mochten an die vierzig Standorte sein, sie reichten von Norwegen bis hinunter nach Portugal. Vierzig Standorte, mindestens drei Mitglieder
je Standort. Vesper schauderte bei dem Gedanken daran, dass fast alle Mitglieder der Bohemia von den Mythen ermordet worden waren. Konnte es wirklich sein, dass nur noch sie drei übrig waren?
    »Ein flächendeckendes Netz zur Überwachung der Welt«, kommentierte Leander.
    Vesper ging an den Regalreihen voll alter Bücher vorbei. Manche von ihnen waren schon fast zerfallen. Die Buchrücken bröckelten, und wenn man sie berührte, hatte man Staub an den Fingern.
    Sie fragte sich im Stillen, wie viele Schlüssel es wohl gab. Bei mindestens drei Mitgliedern pro Refugium müssten doch jede Menge Schlüssel in die Hände der Mythen gefallen sein.
    »Was jetzt?«
    »Wir suchen nach Hinweisen«, hörte sie Andersen, der bereits nach ganz unten zu den Computern gelaufen war, rufen.
    Gut gesprochen.
    Nur wo?
    In den Büchern? Das würde Jahre in Anspruch nehmen. Kein Mensch konnte das ganze Zeug lesen.
    Jonathan Andersen jedenfalls machte sich sofort an den beiden Computern zu schaffen. Edgar, das Äffchen, hüpfte wild herum und sah sich die entlegenen Winkel an, hielt sich aber von den Tischen mit den seltsamen Instrumenten fern.
    Auch Vesper lief eine der Wendeltreppen bis ins Erdgeschoss hinab und sah sich dort um. Durch die hohen
Fenster hatte man einen guten Ausblick auf das verlassene Brooksfleet. Dichte Wolken ließen draußen ihre Schatten über die Wände der Lagerhäuser auf der anderen Seite des Fleets wandern, weiterhin fiel unablässig Schnee.
    Dann entdeckte Vesper die Tür.
    Sie war aus Eisen, versehen mit starken Scharnieren, ähnlich einer Tresortür. Und sie war verschlossen.
    Vesper probierte den Schlüssel aus, den sie dabeihatte. Mit einem Klicken schnappte das Schloss auf.
    »Wo gehst du hin?« Leander war sofort bei ihr. Konnte es sein, dass er sie die ganze Zeit über beobachtet hatte? Der Gedanke gefiel ihr.
    Vesper öffnete die Tür ein Stück weiter. Eine Treppe erstreckte sich nach unten in die Dunkelheit.
    »Abwärts«, sagte sie.
    Leander trat neben sie und knipste das Licht an. »Besser so«, meinte er.
    Jonathan Andersen war ganz in seine Computer vertieft. Anscheinend hatte er etwas gefunden. Oder aber auch nicht. Er war jedenfalls ruhig und still, und es kümmerte ihn nicht, was sie machten.
    »Wir sind gleich wieder da«, rief Leander.
    Er winkte ihnen nur zu.
    »Na, dann mal los.«
    Sie stiegen die lange Treppe hinab, vorsichtig, denn die Treppenstufen waren schmal und glitschig. Je weiter sie nach unten kamen, desto feuchter wurde die Luft. Wasser tropfte von den Wänden, und Spinnen huschten verschreckt davon, sobald sie die Schritte spürten.

    »Sagte Andersen nicht, dass die Speicherstadt auf Pfählen errichtet wurde?«
    »Ja, das wurde sie.«
    »Wohin gehen wir dann?« Die Frage war berechtigt.
    Sie stiegen immer tiefer hinab und mussten sich längst unter der Wasserlinie befinden. Draußen war Ebbe gewesen, aber trotzdem. Wie tief, fragte sie sich, hatte man damals gebaut? Und warum?
    Nach fünf Minuten langsamen Abstiegs kamen sie in einem Gewölbe an. Es erinnerte Vesper an einen U-Bahnhof, nur ohne Schienen und viel kleiner. Helle weiße Kacheln bedeckten die Wände und die Decke, und Neonröhren flackerten unruhig und kränklich, zauberten mehr Schatten als Licht in diese Gruft. An den Wänden befanden sich in Abständen von vier Metern schwere Türen aus dickem Stahl, rostig und fleckig. Rote Lampen leuchteten an den Verriegelungen.
    »Was, in aller Welt, ist das hier?«
    »Sieht aus wie ein Gefängnis.«
    »Ist bestimmt kein Gefängnis«, flüsterte sie. Das alles erinnerte sie an die Filme, die ihr Vater gedreht hatte, und die schwarz-weißen Gruselstücke, in denen einst ihr Großvater sowohl Helden auch als Bösewichte gespielt hatte, damals, als die Ufa ihre Glanzzeit erlebte.
    Vorsichtig ging Vesper an den vielen Türen entlang, die alt und rostig waren.
    Es roch stickig und modrig hier unten. »Hier müsste doch überall Wasser sein«,

Weitere Kostenlose Bücher