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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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nicht der Ring, nicht die Uhr, nicht der Anhänger, nicht die Schlüssel. Etwas, was alles verband. Etwas, was noch immer im Dunkeln lag und sich vor ihnen verbarg.
    »Haben Sie irgendwo etwas entdeckt?«, fragte Leander schließlich.
    »Nein, keine Hinweise«, sagte Andersen. »Hier befindet sich nichts von Wert. Das Refugium wurde offenbar seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt.«
    Schweigend saßen sie da.

    Hingen ihren Gedanken nach.
    Die Stille war lauter, als es Vespers Nerven guttat.
    Da waren nur all diese endlosen Reihen von Büchern und Dokumenten. Berichte, Romane, Erzählungen, Kartenrollen, uralte Abschriften anderer Bücher, Berichte und Erzählungen. Die Unendlichkeit in Form von Buchstaben, sauber geordnet und sortiert, in Regalen verstaut. Aber was, um alles in der Welt, sollten sie damit anfangen? Sich stundenlang durch die alten Schriften arbeiten?
    Vesper seufzte.
    Blödsinn.
    Nein, das konnte einfach nicht sein. Sie hatte sich eine schnelle Aufklärung erhofft, etwas, was ihnen den weiteren Weg weisen würde. Draußen schliefen die Kinder sicher noch immer, und sie wusste nicht, wie viel Zeit ihnen noch bleiben würde, um alles wieder ins rechte Lot zu bringen.
    Die Stille fraß langsam und leise ihre Hoffnungen auf. Vesper steckte sich einen ihrer Stöpsel ins Ohr, suchte auf dem iPod nach einem geeigneten Lied und fand People Are Strange von The Doors . Sie schloss die Augen, ließ es zu, dass Erinnerungen wie Leuchtfeuer aufblitzten: ihre Eltern, die Schule, das Leben in Berlin. Dann das Theater, die Wölfe und schließlich Leander. Ja, immer wieder er, immer wieder Leander Nachtsheim.
    Sie lächelte und öffnete die Augen wieder.
    Du bist nicht allein.
    Ja, er war noch da.

    In seiner leicht hektischen Unruhe lief er im Raum herum, sah sich alles an und hing seinen Gedanken nach. Sie dachte an ihre erste Begegnung im Museum. Du lieber Himmel, erst gestern war das gewesen, und in der Zwischenzeit war die ganze Welt eine andere geworden. Sie hatten die Nacht zusammen verbracht, und wenn nicht alles um sie herum verrückt geworden wäre, dann täte sie den ganzen langen Tag vermutlich nichts anderes, als an diese Stunden zu denken. Sie würde daran denken und sich gut fühlen, und nichts anderes wäre wichtig. Aber die Welt war zu einem Irrenhaus geworden. Und überall in ihrem Kopf und nicht zuletzt auch in ihrem Herzen herrschte ein kunterbuntes Durcheinander aus Gefühlen und Gedanken, dem sie unmöglich Einhalt gebieten konnte.
    Du bist nicht allein.
    Ja, das glaubte sie. Und sie hoffte inständig, dass sie sich nicht irrte. Denn wenn all dies hier vorüber war - und irgendwann musste es ja vorüber sein - und die Welt ihr altes Gesicht wiederbekommen hatte, dann würde auf die Weise ein Leben auf sie warten.
    Auf sie, auf Leander - herrje, und vielleicht sogar wirklich auf sie beide gemeinsam .
    Sie sah ihn an, wie er im Raum herumlief und plötzlich mit den Fingern schnippte.
    Vesper zog sich den Stöpsel aus dem Ohr.
    »Die Landkarte«, stellte Leander fest. »Die Landkarte, die Landkarte, die Landkarte. Ja! Das ist es!«
    Auch Andersen blickte jetzt auf.

    Leander trat näher an die Karte heran.
    »Was ist mit der Karte?«, fragte Andersen.
    »Sehen Sie hier«, Leander deutete auf eine markierte Stelle. »Da ist ein Ort rot markiert.«
    »Da sind viele Orte rot markiert. Die meisten davon sind Refugien.«
    »Nein, nein, der hier ist anders markiert.«
    Sie alle betrachteten den Farbflecken, auf den Leander hingewiesen hatte.
    »Ja, und?«
    »Nur wichtige Dinge sind rot markiert«, sagte er altklug.
    »Witzbold«, entfuhr es Vesper. Was für eine Erkenntnis!
    Doch Leander blieb hartnäckig, schüttelte beharrlich den Kopf. Er deutete auf ein Waldgebiet im Osten. »Der Harz.«
    »Und?«
    »Die Markierung! Da steht ein Name: Karlstein.«
    »Ist das eine Stadt?«, fragte Vesper. »Ein Dorf?«
    Andersen sah zerknirscht aus. »Es gibt dort keine Stadt namens Karlstein.« Neugierig starrte er auf den Punkt.
    »Hier steht es aber.«
    »Es muss etwas anderes sein.«
    »Okay, keine Stadt und kein Dorf.«
    »Eine Burganlage vielleicht?«, versuchte es Vesper.
    Leander fuchtelte mit den Händen herum, er war ganz aufgeregt. »Suchen Sie in Ihrem iPad nach der Karte«, forderte er Andersen auf. Wie besessen rannte er zu den
Regalen, murmelte: »Schnell, schnell, schnell«, und suchte darin herum, kehrte nur Augenblicke später mit einem fetten Atlas zurück. Er klopfte den Staub von dem Einband,

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