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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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sind.«
    »Ist es noch weit?«
    »Noch etwa eine Stunde, dann sind wir in Goslar. Dann ist es nicht mehr weit. Wernigerode ist gleich nebenan, könnte man sagen.« Er blinzelte nach draußen und verbesserte sich: »Nun ja, vielleicht nicht unbedingt bei diesem Wetter.«
    Vesper zog die Decke eng um sich. Spähte nach hinten in den Kofferraum.
    »Edgar schläft auch noch. Ist viel Aufregung für ein Äffchen.«
    »Kann sein.«
    Stille.
    Eine ganze Weile.
    Dann fragte Vesper im Flüsterton: »Warum tun Sie das eigentlich?«

    Jonathan Andersen fragte. »Was?«
    »Na, das hier. Die Mythen jagen. Sich um uns kümmern.«
    »Ich kümmere mich nicht um euch, sondern wir brauchen einander«, stellte er klar. »Das ist ein Unterschied.«
    »Auch gut. Trotzdem.«
    Er lachte leise. »Du fragst dich, wer ich bin.«
    »Sie sind ein Rätsel. Der Sandmann . Allein der Name. Sie tauchen einfach so aus dem Nichts auf, beschatten mich, tauchen dann schon wieder auf, mit diesem Wagen, den sie uns überlassen. Sie kämpfen gegen die Wölfe, wissen jede Menge Dinge und viele auch nicht. Sie führen uns ins Refugium und jetzt in den Harz. Natürlich bin ich da neugierig.«
    »Vertraust du mir?«, wollte er wissen.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Eine ehrliche Antwort.«
    »Was würden Sie an meiner Stelle tun?«
    »Ich wäre auch neugierig«, gab er zur Antwort.
    »Klasse«, murmelte Vesper nur. »Das, was ich hören wollte.«
    Sie verließen die Autobahn und folgten einer Schnellstraße, die durch dichte Wälder führte.
    »Was ich euch gesagt habe, ist die Wahrheit. Meine Familie war geächtet. Nun ja, aus Sicht der Bohemia jedenfalls.«
    »Und Sie wissen nicht, warum?«
    »Nein, darüber hat in der Tat niemand gesprochen.«
    »Aber?«

    »Du hast all die Instrumente und Werkzeuge gesehen, die auf den Tischen im Refugium lagen.«
    Wie könnte sie die vergessen? »Ja.«
    »Nun, vermutlich hatte es etwas mit diesen Dingen zu tun. Mein Großvater hat mir nie gesagt, wie die Mythen behandelt wurden von den Mitgliedern der Bohemia . Was genau sie mit ihnen taten, wenn sie sie erst einmal gefangen hatten.«
    »Sie meinen, man hat sie gequält?«
    Er seufzte, schwieg einen Moment. »Ich glaube, man hat es als Untersuchung bezeichnet. Als Forschung .«
    Vesper hatte sich gedacht, dass Dinge wie diese geschehen waren.
    »Alexander von Humboldt war Wissenschaftler. Wilhelm und Jacob Grimm ebenso. Es würde mich nicht wundern, wenn sie den Mythen mit ihren wissenschaftlichen Methoden zu Leibe gerückt wären.«
    Das leuchtete ein. »Was wissen Sie sonst noch?«
    »Eigentlich so gut wie nichts. Die Bohemia war schon immer ein einziges großes Geheimnis. Ihre Mitglieder waren stets sehr verschwiegen.« Er blickte kurz zu Vesper nach hinten. »Habt ihr beiden euch nicht schon gefragt, wie ich an den Schlüssel und den Anhänger gekommen bin?«
    »Doch, mehrmals«, sagte Vesper. »Sie dürften die Gegenstände eigentlich gar nicht besitzen.«
    »Es gibt eine Geschichte dazu. Sie ist sehr traurig. Möchtest du sie dennoch hören?«
    »Wir haben Zeit, würde ich sagen.«

    »Also gut.«
    Hohe Tannen säumten die Straße. Die Schneedecke auf der Straße wurde fest und rutschig. Krumme Schilder am Straßenrand kündigten kleine Ortschaften mit geheimnisvollen Namen wie Lautenthal, Bockswiese und Hahnenklee an.
    »Es war einmal«, begann Jonathan Andersen zu erzählen, und Vesper mochte seine Stimme, wenn er so erzählte. Sie war wie der Schneefall, mysteriös und ein wenig wie Regen.
    »Es war einmal ein junger Mann, dem es an nichts fehlte.«
    So begann die Geschichte.
    Sein Vater war ein erfolgreicher Kaufmann, der mit anderen Ländern Handel trieb und über die Jahre bescheidene Reichtümer erwirtschaftet hatte. Der junge Mann - nennen wir ihn doch einfach Jonathan Andersen - lebte ein Leben, das sich vom gewöhnlichen Leben eines Teenagers kaum unterschied. Er ging zur Schule, lernte die Geschäfte seines Vaters Stück für Stück kennen, studierte an der Universität zu Heidelberg, lebte sein Leben.
    »Und es geschah dort, an der Universität, dass er sich in ein wunderschönes Mädchen verliebte.«
    Carlotta Siebenbürger.
    Das war ihr Name.
    Sie studierte die alten Sprachen, wie er selbst, und sie liefen sich eines Tages auf dem Campus über den Weg. Sie jagte einem Blatt Papier hinterher, das ihr zu Boden gefallen und vom Wind entführt worden war. Sie hatte
ein Gedicht geschrieben, das womöglich nicht bei ihr bleiben und lieber auf Reisen in ferne

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