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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Vesper, die spürte, wie der Ring an ihrem Finger glühte, stellte sich ihr in den Weg. Sie öffnete den Mund und dachte an all die Wörter, die sie ausgesprochen hätte, wenn ihr Herz
hätte reden können. Wie Staub wirbelten die Buchstaben durch die Luft und trafen die kreischende Kreatur mit den grausamen Dornenzähnen. Dornröschen ging augenblicklich zu Boden, kam jedoch schnell wieder zu Kräften.
    Etwas ist nicht richtig.
    Dornröschen fauchte wütend.
    Die Rosenblätteraugen raschelten hungrig.
    Es funktioniert nicht richtig, dachte Vesper und spürte Panik in sich aufkommen.
    Doch da begann Leander instinktiv zu reden, und auch Andersen kam ihr zu Hilfe.
    Die Luft war erfüllt von Buchstaben, die ihnen aus dem Mund strömten und wie winzige Insekten auf die Gestalt zustürmten, sie umgaben, an ihr fraßen, weiter und weiter.
    Dornröschen hieb sich mit den langen Fingern selbst ins Gesicht, kreischte, ging in die Knie. Blut färbte den Schnee rot, und nach wenigen Minuten lag die Kreatur mit den stecknadelspitzen Dornenzähnen regungslos am Boden.
    Ihr letzter Aufschrei wurde von einem Heulen erwidert, das aus weiter Ferne kam.
    Stocksteif blieb Vesper stehen. Alles in ihr verkrampfte sich.
    »Sie sind hier!«, flüsterte Andersen und schaute sich um.
    »Sicher?« Vielleicht hatten sie sich verhört.
    Das Heulen erklang erneut.
    »Ganz sicher«, flüsterte Leander von der Seite und grinste, wofür sie ihm liebend gern eine gescheuert hätte.

    Dann war da nur Stille, kein Heulen, nichts mehr.
    Vesper fragte sich verzagt, ob sie drei erneut die Kraft hätten, ihre Gabe zu verwenden, wenn die Wölfe sie angreifen würden.
    »Es hat nicht richtig funktioniert«, sagte sie.
    »Ja.« Leander schaute fasziniert und zugleich angeekelt auf die Kreatur am Boden.
    »Wir sollten den Wölfen aus dem Weg gehen«, schlug Andersen vor. »Lasst uns einfach weitergehen.«
    Vesper hatte keine Ahnung, wohin sie in diesem Wald flüchten sollten. Aber hierzubleiben schien die denkbar schlechteste Idee zu sein. Also setzten sie sich in Bewegung.
    Leander verstaute sorgsam seine Uhr in der Hosentasche, und auch Andersen berührte hin und wieder den Anhänger, der um seinen Hals hing.
    Vorsichtig pirschten sie so durchs Unterholz, in eine Richtung, die so gut war, wie alle Richtungen es hätten sein können.
    »Wir hinterlassen deutliche Spuren im Schnee«, gab Vesper zu bedenken.
    Andersen tat es mit einem Achselzucken ab. »Daran können wir jetzt nichts ändern.«
    Sie stapften weiter durch den Winterwald.
    »Da vorn ist ein Dorf«, sagte Leander plötzlich und fasste sie sanft an der Schulter, zog sie nach unten in die Hocke.
    Sie verbargen sich im Gehölz.
    »Wir sollten es umgehen«, schlug Andersen im Flüsterton vor.

    Leander nickte nur.
    Vesper staunte.
    Unten, in einem kleinen Tal, befand sich ein Dorf, das kaum mehr war als eine wilde Ansammlung von kleinen Katen. Es war wie in den alten Märchen. Geheimnisvoll und wild, unverhofft und spannend. Man wusste einfach nicht, was einen erwartete. Nur war Vesper jetzt mittendrin.
    Das kleine Dorf war unscheinbar und beengt, mit kleinen Holzhäusern, die ihre spitzen Dächer schräg und verwittert dem Geäst über ihnen entgegenreckten. Matte Lichter schimmerten wie wachsame Äuglein hinter den schmalen Fenstern. Nur vereinzelt sah man die Einwohner, die kaum menschlich wirkten, auf den schneebedeckten Straßen umhereilen.
    In der Tat wirkte das Dorf dort unten nicht gerade einladend.
    Der überdachte windschiefe Brunnen im Zentrum des Dorfplatzes, die fernen Geräusche aus den Wäldern und die vielen verschlossenen Fensterläden hießen Fremde nicht unbedingt willkommen. Die wenigen eilig vorbeihuschenden Wesen (große Bauern mit klobigen Hufen und zerfurchten, besorgten Gesichtern und von der harten Arbeit zerschlissener grober Kleidung) sahen böse und hungrig aus. Sie sahen einen wilden Eber, der mit einem Faun sprach, weiter hinten hielten zwei Füchse Wache.
    »Wir sollten von hier abhauen«, schlug Andersen vor.
    Keiner der beiden hatte etwas dagegen einzuwenden.

    Aber Vesper hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie zu Burg Karlstein kommen sollten. Am Ende hatten sie vielleicht keine Wahl.
    »Wir müssen irgendjemanden nach dem Weg fragen.«
    »Ach, ja?« Leander war dicht bei ihr. »Wen schlägst du vor? Den Eber da drüben oder einen der Füchse? Oder den großen Kerl mit dem Wanst und den Hauern im Gesicht?«
    Okay, das waren gute Argumente.
    »Wie sollen wir

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