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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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hinabgestiegen waren.
    »Ja, die Kurzfassung. Bitte.«
    »Meine Eltern wurden vermutlich beide von den Wölfen ermordet. Okay, es sah wie ein Unfall aus, aber man muss ja nicht alles glauben. Ich bekam einen Brief und bin gleich hierhergeflogen.«
    »Von woher?«
    »Oxford.«
    »In England?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, das andere Oxford.«
    Sie sah ihn fragend an.
    »Das Oxford auf Madagaskar.« Er zog ein Gesicht, schnalzte mit der Zunge. »Natürlich England, wo sonst?«
    Vesper fand das nicht komisch.
    Leander, der einen entnervten Gesichtsausdruck erkannte, wenn er ihn sah, sagte nur leise: »Tut mir leid.« Seine Augen lächelten nicht einmal mehr. »Du bist nicht die Einzige, die durcheinander ist. Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, was hier los ist. Mein Bruder wurde von Wölfen wie diesen entführt, als ich noch ganz klein war.
Kein Mensch hat mir damals geglaubt, aber ich habe es gesehen. Jetzt sind meine Eltern tot, und ich bin den Anweisungen meines Vaters gefolgt und in dieses verlassene Nest gekommen, um Coppelius zu treffen.«
    »Okay«, sagte sie nur. »Okay, okay, okay.«
    »Das alles ist ein großes Durcheinander.«
    »Okay.«
    »Ein Rätsel.«
    »Und wir mittendrin.«
    »Du sagst es.«
    »Und die Bohemia ?«
    Er zuckte die Achseln. »Nie zuvor von ihr gehört.«
    Das Heulen durchschnitt wieder die Stille des Tages. »Komm, weiter!«, drängte er sie.
    Beide beschleunigten ihre Schritte.
    »Weißt du, was das war?« Es hörte sich an, als würden die Wesen, die ihnen folgten, miteinander reden.
    »Ein Wolf. Oder etwas Ähnliches, ich bin mir da noch nicht so sicher.« Er sah sich um, unruhig, wachsam. »Es hörte sich irgendwie an wie ein Wolf, aber anders als das Ding, das bei Coppelius war.«
    »Ja.«
    Unfertig, kam es ihr wieder in den Sinn.
    Vesper dachte an die Zeitungsartikel, die von Wölfen in Berlin berichtet hatten.
    Das Rudel war jetzt also hinter ihnen her.
    Sie betrachtete den Ring mit dem grünen Stein an ihrem Finger. Noch immer verstand sie nicht, was genau sie vorhin in dem Haus von Herrn Coppelius getan hatte. Es
war einfach passiert, ohne dass sie wusste, woher diese Kraft gekommen war.
    Und Leander trug den Gehstock bei sich, den er mehr schlecht als recht als Waffe benutzt hatte. Von einem weltgewandten, geübten Kämpfer war auch er weit entfernt.
    »Was werden sie mit uns tun, wenn sie uns zu fassen kriegen?«
    »Wenn uns die Monster kriegen?«, fragte er.
    Sie nickte. Irgendwie gefiel ihr nicht, dass er sie als Monster bezeichnete.
    »Ich will es nicht unbedingt herausfinden.«
    Ein Schatten sprang hinter ihnen auf die Straße.
    »Vorsicht!«, schrie Vesper.
    Leander duckte sich instinktiv und drückte Vesper unsanft zur Seite. Er zog den Säbel aus dem Stock und schlug dem nahenden Wolfswesen, noch während es in der Luft war, gegen den Schädel. Mit einem Knurren ging die Kreatur unsanft zu Boden. Dort, wo sie aufprallte, wurde der Schnee aufgewühlt, doch dann löste sich das Wolfswesen in Luft auf, als sei es niemals dort gewesen.
    »Verdammt, was war denn das?«, keuchte Vesper, die ebenfalls am Boden lag.
    »Viel heiße Luft«, antwortete Leander, war sich aber nicht sicher, ob die Gefahr gebannt war.
    Vesper rappelte sich auf, klopfte sich Schnee von der Jacke. »Danke«, sagte sie.
    »Keine Ursache.«

    Und dann sah Vesper sie.
    Wie neu geborene Schatten erschienen sie hoch oben auf dem Absatz der Treppe, die Vesper und Leander eben noch hinabgestiegen waren, keine zweihundert Meter über ihnen. Es waren drei Tiere, groß und schemenhaft. Ihr Fell war dunkel und sehr zottig, und ihre Lefzen entblößten spitze Zähne, die blitzten wie wütende Eiskristalle im sterbenden Schnee. Sie sahen aus wie von zitternder Hand gezeichnet, pechschwarz, als habe jemand sie mit einem Kohlestift nach dem Erwachen aus einem bösen Traum skizziert. Nur die Augen leuchteten orangerot, kalt und so berechnend, dass niemand, der tief in sie hineinblickte, an Gnade zu denken vermochte. Sie warteten nicht ab, was passierte, sondern näherten sich schnell.
    »Sie sehen so unecht aus«, bemerkte Leander.
    »Aber es sind Wölfe.«
    Verwirrt nickte er. »Ja, sie sehen so aus.«
    »Und das Ding, das mich anspringen wollte?«
    »Hat sich einfach aufgelöst. Frag lieber nicht, warum.«
    »Wo steht dein Wagen?«
    »Gleich da unten, neben dem Fischrestaurant. Ist nicht mehr weit.«
    »Wir sollten keine Zeit mehr verlieren.«
    Er nickte. »Sehe ich auch so.«
    Ohne ein weiteres Wort zu

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