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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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gefährlich zur Seite, Leander lenkte wie ein Verzweifelter.
    Dann verließ der Wagen den Strandweg, raste auf dem Gehweg gegen einen der Poller, der die Schnauze der Ente hochschnellen ließ, aber den Wagen nicht aufzuhalten vermochte.
    Der Schwung trug die Ente über den Poller, und schon stürzte sie, die Schnauze mit den beiden runden Scheinwerferaugen voran, rund zwei Meter in die Tiefe und bohrte sich dort unten endlich in den Sand.
    Die eisige Elbe tauchte vor ihnen auf.
    »Nicht gut«, murmelte Vesper. Sie spürte einen lauten Schwindel und reckte sich instinktiv.
    Sie schien nicht verletzt zu sein.
    »Nein, nein, gar nicht gut«, murmelte sie erneut.
    Und Leander, der an seinem Gurt zerrte, sagte: »Ich habe da ein ganz mieses Gefühl.«
    Beide schauten sie zurück.
    Aus dem Rückfenster heraus konnten sie nach oben zum Strandweg blicken. Die Wolfsschemen in den gestohlenen Menschenkörpern standen dort jetzt nebeneinander und sahen auf die erlegte Ente herab.
    Vier Menschenkörper, unnatürlich verrenkt und mit bösartig funkelnden Augen. Die alte Dame sprang als Erste in den Sand. Die anderen folgten ihr. Einigen von ihnen lief Blut übers Gesicht.
    »Tolle Flucht«, bedankte sich Vesper.

    »Sagt die Retterin.«
    Die Wolfsschemen näherten sich, bedächtig und vorsichtig.
    Sie bildeten wachsam einen großen Halbkreis um die Ente, der jede Flucht unmöglich machte.
    »Irgendwelche Vorschläge?«, murmelte Vesper entnervt.
    Leander zuckte die Achseln. »Ich überlege noch.«
    Dann stiegen sie aus, kletterten unbeholfen aus dem Wagen, der rauchte und verbeult war.
    »Arme Ente«, murmelte Leander.
    Vesper schwieg.
    Erst einmal draußen, standen sie vor den Wolfsschemen, die sich vorerst nicht rührten.
    Leander, unsicher taumelnd, hielt seinen Gehstock schützend hoch und stellte sich zwischen Vesper und die Wolfsschemen, schwenkte drohend den Stock in ihre Richtung. Die Wolfsschemen in ihren menschlichen Körpern näherten sich ihnen vorsichtig, mit voller Berechnung.
    Abwartend.
    Lauernd.
    »Und was jetzt?« Eigentlich stellte Vesper die Frage nicht wirklich. Sie stand vor einer schrottreifen Ente mit zertrümmerter Schnauze, hinter sich eine fast zwei Meter hohe Wellenbrechermauer aus grob behauenen Steinbrocken und vor sich ein ganzes Rudel dieser Viecher.
    Oben auf der Straße erschien zu allem Überfluss nun auch noch der Menschenwolf aus dem Haus. Er sah aus wie ein Mann, wieder unscharf. Er wirkte erschöpft, und
sein Gesicht war jetzt voller Narben, die alle die Form winziger Buchstaben hatten.
    »Er hat meine Mutter getötet«, flüsterte Vesper. Instinktiv trat sie nah an Leander heran.
    Dieser nickte ernst.
    Der dunkle, böse Mann, der jetzt kein Wolf war, ließ den Blick ausschweifend über den Strand wandern. Gelassen betrachtete er die Ente mit dem ratlosen Paar davor.
    »Hier bringen wir es also zu Ende«, knurrte er, sobald er in Hörweite war.
    Hinter ihm, auf dem Gehweg, versammelten sich jetzt neugierige Passanten. Keiner der Anwesenden traute sich jedoch, dem Mann mit den Narben im Gesicht zu nahe zu kommen.
    Vesper schluckte.
    Sie spürte einen metallischen Geschmack im Mund.
    Mit der einen Hand hielt sie den Rucksack, den sie hinter sich aus dem Wagen gezerrt hatte, fest, mit der anderen Hand fasste sie sich an die Stirn, die schmerzte.
    Anscheinend machte es den Wolfsschemen überhaupt nichts mehr aus, wenn sie Aufmerksamkeit erregten.
    »Es ist erst zu Ende«, rief Leander dem Mann zu, »wenn es zu Ende ist.«
    Vesper starrte ihn an.
    Er zeigte ein selbstsicheres Grinsen. »Ich dachte, ich sage zum Abschluss noch etwas Heroisches.«
    Sie seufzte.
    Jungs!

    Der Mut verließ sie.
    Da raste, wie aus dem Nichts, aus der Ferne ein riesiger schwarzer Range Rover den Strandweg entlang auf sie zu. Die Scheiben waren ebenso schwarz und undurchsichtig wie alles an diesem Wagen.
    Der Menschenwolf drehte den Kopf zur Seite. Das vernarbte Gesicht wurde zu einer wütenden Grimasse.
    Dann wendete er sich Leander zu. »Ich weiß«, knurrte er, »wo Ihr Bruder ist.« Er zeigte ein durchtriebenes Lächeln, kostete den Augenblick aus. Dann drehte er sich um und lief davon.
    Die Wolfsschemen indes hielten die Stellung.
    Und Leander wurde ganz bleich.
    Vesper berührte ihn an der Schulter. »Hey, alles in Ordnung?«
    Sie erkannte die Verunsicherung in seinen Augen. Etwas, was irgendwann in Tränen glitzern mochte, lag darin verborgen. »Hast du gehört, was er gesagt hat?«, fragte er sie.
    »Ja.« Sie

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