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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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auch sein Rasierwasser.
    Im Wirtsraum bietet man uns einen Tisch in einer Ecke an. Holzvertäfelung, Wildgeweihe an den Wänden und in der Mitte des Raumes der Kachelofen. Hier wird Tradition noch großgeschrieben. Ein Häkeldeckchen in der Größe eines Geschirrtuchs lehrt uns Folgendes:
    Gott mit dir, du Land der Bayern,
deutsche Erde, Vaterland!
Über deinen weiten Gauen ruhe
Seine Segenshand!
Er behüte deine Fluren,
schirme deiner Städte Bau
Und erhalte dir die Farben
Seines Himmels, weiβ und blau!!!
    Schwarzweißporträts verlebter und wahrscheinlich abgelebter Männer in Anzügen reihen sich um dieses, wie mir scheint, heimatliche Gebet. Kleine Zettel verraten Amtstitel und Namen. Ich muss automatisch an eine Frikadellenbraterei in Berlin mit dem Namen »Burgermeister« denken.
    Eine hinter einem verglasten Rahmen befindliche Tafel besagt, dass diese Gegend einige Kriegsteilnehmer zu verzeichnen hatte. »Vereinskriegschronik 1939 – 45 des Veteranen- und Krieger-Vereins Garmisch-Partenkirchen«. Einige Dutzend Namen. Altdeutsche Schrift. Am Rande eine martialische Tuschezeichnung. Behelmter Reitersoldat mit Reichsflagge. Hakenkreuz. Hakenkreuz? Tatsächlich. Ich fasse es nicht. Darunter einige Kameraden mit Dienstkappe und Uniform. »In Gedenken an die stolzen Krieger«. Auch ein Brandtner war dabei. Mit Vornamen hieß er Adolf. Damals durfte man das noch.
    Die sportlichen Erfolge vom hiesigen Schieß-, Fußball-, Gymnastik-, Gewichtheber- und Faschingsverein glänzen in Form von silbernen und goldenen Pokalen, Medaillen und Tellern in einer Vitrine. Auf diesen Blech- und Messingbehältern vollführen erstarrte Zinnfiguren typische Bewegungsposen der jeweiligen Sportart. Um den Glaskasten, der die Siegesbeweise beherbergt, wedeln bunte Wimpel mit Emblemen und Logos von Clubs und Vereinen der ganzen Erde. Hier war und ist die Welt zu Gast.
    Auf der Zapfanlage sitzt ein Tier aus »Tausendundeiner Nacht«. Ein Gemisch aus Hase, Ente, Reh und Säbelzahntiger. Es wirkt irgendwie angriffslustig. Ich denke oder hoffe vielmehr, dass es tot und ausgestopft ist. Später erfahren wir, dass die Blume, die dieses Tier hinterm Ohr trägt, dem Naturschutz unterliegt, da es so gut wie kein Edelweiß mehr auf den Bergen gibt. Hauptsache, es hat noch zum Haarschmuck für diesen Wolpertinger gereicht.
    Am Korpus der Zapfanlage ist ein Aufkleber angebracht. Auf blauweißen Rauten steht geschrieben: Rum und Ähre. Ich lache still über die beiden Rechtschreibfehler. Bayern, Land der Trinker.
    Blauer Dunst nebelt durch den Raum, das Rauchverbot in Restaurants wird hier nicht beachtet. Nicht vom Stammtisch. Eine kleine Holztafel gibt an, dass fünf ältere Herren zum Stammtisch gehören. Eine Zigarre, eine Pfeife und zwei Zigaretten sind für den Nebel verantwortlich. Sie werden von waschechten Einheimischen der eingesessenen Art geraucht. Echte Bergmenschen. Von der Höhensonne gegerbte Gesichter. Kernige Ausstrahlung, kräftig, trotz fortgeschrittenen Alters. Ich bin fasziniert.
    »Wås schaust’n so bläd?«, fragt der Mann mit der Zigarre.
    »Waschhaubensufflet?« Ich grüße mal lieber.
    »Guten Abend.« Ich bin immer noch fasziniert.
    »’n Abend.« Olsen ist immer noch mordshungrig.
    Die meisten Tische sind leer. Nur eine Familie sitzt neben dem Eingang. Vater, Mutter und kleiner Sohn löffeln Suppe.
    Eine Bedienung tritt zu uns an den Tisch. Sie legt zwei schwere in Leder gebundene Speisekarten vor uns ab. Ich bemerke, dass die Bedienung die Rezeptionsfrau ist. Sie hat ein blaues Dirndl an. Das Dirndl befördert ihre weiblichen Konturen vorteilhaft zutage. Mir ist nach Knödel zumute.
    »Zum Trinkn vielleicht scho moi wås?«
    Wir wollen Bier trinken.
    »Zwei Krüge Bier, bitte.« Gott sei Dank versucht sich Olsen nicht wieder im Bayrischen.
    »Helle oda Woazn?«
    »Jo mei«, macht Olsen und grinst.
    Am Stammtisch lachen die Männer. Ich höre deutlich »Saupreiß« aus ihrer Unterhaltung.
    Nachdem uns die Bedienung, die mit ihrer feschen und stämmigen Art etwas dringlich Anziehendes hat, erklärt hat, dass es Matjesfilet oder Eisbein nicht gäbe, folgen wir ihrer Empfehlung und erwarten in Kürze zwei Leberknödelsuppen, danach Schweinsbraten mit Semmelknödel und Krautsalat.
    »Rudi! No zwoa Helle und drei Weizn, Zefix.«
    Der Mann mit der lustigen Pfeife, sie ist aus einem bemalten Keramikkörper und einem sehr langen Zugstiel gefertigt, hat wirsch diese Bestellung aufgegeben. Sie ist an den Mann hinter dem

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