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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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Navigationsgerät findet meine zum wiederholten Male überprüfte Eingabe nicht. Wir kurven seit fünfzehn Minuten durch die Ortschaft, in der wir unsere erste Unterkunft ausgesucht haben, ein Nachbarort von Partenkirchen. Eine urige Pension. Ich fahre in die Einfahrt eines Bauernhofes, der sehr traditionell und historisch wirkt, um mich nach dem richtigen Weg zu erkundigen.
    Ein kleiner Junge, etwa sieben Jahre alt, kommt aus einer der vielen Holztüren des Stallgebäudes gerannt. Sein Gesicht brennt vor rötlichen Sommersprossen. Vermutlich auch seine Haarpracht, aber die ist unter einem Hut versteckt. Hinter ihm erscheint eine Zweimetergestalt in blauen Latzhosen, die uns zur Begrüßung dumpf anbrummt.
    Ich übernehme das Kommando. »Guten Tag, mein Herr. Können Sie uns freundlicherweise erklären, wo wir den Brandtnerhof finden?«
    Der Bub antwortet: »I bin da Gauner Hotzenplotz und hob in jeda Fotzn plotz.«
    Zack!
    Der Mann hinter ihm, vermutlich sein Vater, verpasst ihm eine Ohrfeige, wie ich es in den ärgsten Keilereien auf dem Kiez selten gesehen habe.
    »Wia hoasst des?«, möchte der grobschlächtige Erwachsene fordernd wissen.
    Der Bub, weder erschrocken ob des Schlages noch verwirrt, antwortet artig.
    »Räuber. I bin da RÄUBER Hotzenplotz.«
    »Oiso«, brummt der Mann zufrieden.
    Olsen und ich sehen diesem Spektakel stumm zu, befangen und nicht wissend, ob man uns nun Antwort auf unsere Frage gab oder nicht.
    Ich hake noch mal vorsichtig nach. »Äh, der Brandtnerhof?«
    Der große Mann hebt nur den muskulösen Arm und deutet in eine Richtung, in der wir es mit dem Auto noch nicht versucht haben. Er erinnert mich an den Schmied von Kochel, dessen Statue ich beim Durchstöbern von Bergdorfidyllen als Foto entdeckte. Der Freiheitskämpfer vom Kochelsee spricht:
    »Do drüm.«
    Es klingt wie: »Haut ab, ihr dreckiges Volk aus Matrosen und Huren und nehmt euren Fischgestank mit.«
    Unsere Blicke folgen seinem Fingerdeut und siehe da, über einen Acker blickend erkennen wir das erleuchtete Schild »Brandtner Hof – Wirtshaus, Pension, Fleisch- und Selchwaren«.
    »Danke Ihnen. Einen schönen Abend noch.« Ich verbeuge mich leicht, aus Ehrfurcht und Selbstschutz. Olsen bückt sich zu dem Kleinen hinunter und zieht ihn freundschaftlich am Hut.
    »Tschüß, Räuber Hotzenplotz.«
    Der Junge: »Hoit’s Maul!«
    Worauf er wieder eine saftige Backpfeife von seinem Vater erwischt. Lachend läuft der Junge ins Wohnhaus. Uns wird es unheimlich. Wir verschwinden schnell aus dem düsteren Schatten des Ohrfeigen-Kolosses. Dunkel erinnere ich mich, dass eine Ohrfeige in Bayern auch Watschn genannt wird.

    Viere — Brotzeit is de scheenste Zeit
    »Grias eing.«
    »Guten Tag. Mein Name ist Joseph Schmidt. Ich habe… wir haben ein Zimmer bestellt. Ein Doppelzimmer.«
    Die Rezeptionsdame in bayrischer Tracht fährt mit einem Brandtnerhof-Kugelschreiber über einen Buchkalender, in dem einige handschriftliche Eintragungen stehen. Ihr üppiger Vorbau verdeckt den Kalender zur Hälfte, dennoch scheint sie unsere Reservierung zu finden.
    »Joseph Schmidt. Jawoi. ’s Zugspitzzimma. Glei de Treppn nauf, in zwoaten Stock nauf, de easchte Tür links am linken Gang.« Olsen blickt mich fragend an, und ich bedanke mich für die unverständliche Erklärung. Gott sei Dank steht der Name der gebuchten Räumlichkeit auf dem Schlüsselanhänger. Zugspitzzimmer. Ich habe »Du spinnst immer« verstanden.
    Ich fahre mit dem Finger über die in ein Holztäfelchen eingeschnitzten Lettern. Zugspitzzimmer – das wird doch zu finden sein.
    »Verzeihen Sie, können wir noch etwas speisen?« Etwas hochgestochen, wie ich finde, aber Olsen will ihrem Akzent bestimmt ein artiges Hochdeutsch entgegensetzen.
    »Freile. Då is d’Wirtsstubn.« Sie deutet mit dem Kugelschreiber auf eine verglaste Doppeltüre, über der in altdeutscher Schrift »Gastraum« gemalt ist.
    Wir bedanken uns und bringen unser Gepäck auf das Zimmer, das wir doch nicht so schnell finden können.
    Eine kurze Erholung von der Fahrt, zu der Toilettengang, Duschen und Telefonieren gehören, und wir sind wieder frisch. Ich wundere mich über Olsens Flakons, all die diversen Düfte, die er auf die Spiegelablage im Bad drapiert. Meinen Zahnputzbecher muss ich auf dem Waschbecken abstellen. Olsen patscht sich Rasierwasser auf seine frischrasierten Wangen und sagt dabei:
    »Ü hoob einen Morrrdshunger.«
    Grauenvoll. Sowohl sein kläglicher Versuch, Bayrisch zu sprechen, als

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