Grimms Erben
Eschweiler einem Spieler im Partenkirchner Trikot lachend eine Verwarnung kredenzt. Ob gelb oder rot ist schwer zu erkennen. Das Bild ist schwarzweiß.
Olsen ruft übermütig aus, ob der Gasthof den großen Pokal, ein Monstrum aus blankpoliertem Blech, aus der Vitrine der FC Bayern geklaut hat.
»Wås, du gscheada Lump?«
»Mia han Sechzga, nix Bayernfans. An Rodn dan mia nia hia sitzen lassen.«
Ich lache kurz auf und schüttle den Kopf, so in der Art: Welche Kreatur ist schon Bayernfan? Olsen meint noch, dass bei den Sechzigern ja nix zu holen wäre und ob man in den großen Pokal Sekt einfüllen solle, den man dann gemeinsam leeren könnte, ganz so, wie es nach großen Siegen der Brauch sei.
»Du Biaschal«, beruhigt ihn Wolfe. »Des is koa Saufkelch, den ma einfach so vahunagglt. Den muasst da scho vadiena. Dann erst, erst dann derfst dein Grind neihenga.«
Er schaut ihn lächelnd, aber bestimmt an. »Håst mi?«
Olsens Worte stolpern schon beträchtlich übereinander.
»Was verdienen? Bei was habt ihr euch denn den Pokal verdient. Beim Traktorfahren?«
Ehe man bis drei zählen könnte, steht Wolfe auf dem Esstisch. Der Platz neben mir, Olsens Platz, ist leer. Erst als ich hochsehe, entdecke ich Olsen. Er schwebt waagrecht über Wolfes Kopf, gehalten von zwei nicht einmal wackelnden, ausgestreckten Baumstämmen – seinen Armen.
Wolfe ist Mitte fünfzig.
Olsen ist grün im Gesicht.
Der Rest am Tisch verschüttet Bier vor Lachen, brennende Zigaretten fallen auf den Tisch, alles bebt, so auch Wolfes dunkle Kehle:
»Beim Gwichthebn, Saupreiß. Beim Gwichthebn!«
Das ist starker Tobak und großer Sport.
Wolfe war Bayrischer Meister der Leistungsklasse I, was auch immer das heißen mag. Im Stoßen und Reißen.
Olsen ist blau im Gesicht. Vom Würgen und Röcheln.
Die Familie am Tisch in Eingangsnähe verlässt fluchtartig und kopfschüttelnd die Sportarena.
»Zefix, Wolfe.«
Rudi schleicht der Familie in gebückter Haltung hinterher. Worte der Beschwichtigung sprudeln aus seinem Mund. Er bedaure den Vorfall inständig und gelobe Preisnachlass in der Gesamtabrechnung. Eine geruhsame Nacht wünsche er, sofern das möglich sei. Ein in Demut getauchter Schankwart.
Wolfe steht weiterhin wie eine Eiche. Eine von Kirschgeist und Malz gespeiste Imposanz.
»Geh Wolfe, lassn wieda nunta.« Theres holt alle Anwesenden geschickt und taktisch clever, mit einer Runde Schnaps, auf den Boden und auf den Boden der Tatsachen zurück.
Ich erwarte leicht angespannt, wie man es aus dem TV bei dieser Sportart gewohnt ist, ein sich rasches Entledigen des soeben gestemmten Gewichts.
Adieu Olsen.
Doch Wolfe dreht das menschliche Paket während des gravitatorischen Abgangs um neunzig Grad und bremst es leicht auf Nullgeschwindigkeit. Olsen klettert mit gepudertem Gesicht und entgleisten Gesichtszügen zu mir herab.
Zur Beruhigung der Lage gibt es umgehend eine hochprozentige Wiedergutmachung.
Der Alkohol schlägt zu Buche. Die Gamsbärte beginnen zu tanzen, genauso Theres’ Brüste und aus Mundls Pfeife höre ich helle Töne.Tabakjazz.
Olsen ist eigentlich bedient, schreit aber lallend: »Rudi, noch srei oder besser viersen Schnapps, Zifix!«
Seinen Ausflug als Gewichtheberhantel hat er erstaunlich gut verkraftet.
»Judiiii, snell!«
Wieder knallt eine Hand auf Olsens Rücken, begleitet von prasselndem Gelächter. Olsens Gesicht ist eine Mixtur aus Schmerz und Grinsefratze. Ich glaub, er wird ohnmächtig.
Die Einheimischen scheinen weniger Probleme mit der Verarbeitung der Fruchtwässerchen zu haben. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, auch oder vor allem in der Bergwelt.
Adi bohrt mir mit seiner Zigarette ins Auge.
»Wås håbts es studiert?«
»Graphikdesign«, sage ich in der Hoffnung, dass der alte Mann damit etwas anfangen kann. Ich merke, das klappt nicht. »Kunst«, schiebe ich verallgemeinernd hinterher. Klappt auch nicht. Adis Gesicht verschwimmt vor mir zu einem Pfannkuchen, der Bayrisch spricht.
»I studier imma no«, sagt Adi plötzlich und zieht an seiner Pall Mall zwei Zentimeter weg. Zweiflerisch starre ich ihn an. Ich glaube, Bier läuft mir aus dem Mund.
»Immer noch? Was denn?«, versuche ich zu sagen.
»I studier den Wåid, de Viecha, de Bleamal, de Stille, de Zeit, de Leit.«
Ich habe rein gar nichts verstanden, frage aber dennoch »Warum?«
»I bin Förster.«
»Förster, wie schön.«
Ein Berufszweig, über den ich mir noch niemals in meinem Leben auch nur einen Millimeter Gedanken
Weitere Kostenlose Bücher