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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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Wackelt wie der Taktstock eines Wörterdirigenten.
    »Da fümfte Punkt is der, dass mia in Bayern, egal wås passiat, auf Gedeih und Vaderb zammhoiddn. Imma!«
    Das finde ich den schönsten Punkt. Wirtshausromantik nenne ich diesen Satz. Dafür erntet Adi ein »Jawwoi« aus allen Ecken.
    Ein Tablett mit weiteren Biergläsern schneit in unsere Runde.
    »Und Punkt sex: Mia hamm des beste Bia auf da ganzn Woidd.«
    Theres verteilt die Gläser. Sie lächelt Olsen an und wuschelt mir durchs Haar. Mir ist, als hätte Theres ein X anstatt eines Chs im Wort sechs verwendet. Ich fange mich wieder. Das mit dem Bier stimmt, muss ich nun als Pilstrinker zugeben.
    Es ist schön zwischen diesen Südländern. Hier überschlagen sich nicht Tempo und Vorwärtsdrängeln des Lebens. Hier ist eine stille Minute unter lieben Menschen keine verlorene Zeit. Der Puls schlägt weich, aber eindringlich.
    Ich erzähle dem Stammtisch von meiner Kindheit, dass ich ab dem siebten Lebensjahr ohne Eltern aufwuchs, sie bei einem Autounfall aus dem Leben gerissen wurden, mein Onkel aus Uelzen mein Kindes- und Jugenddasein geleitet hat und ich Männerfreundschaften für das stärkste Eisen halte. Immer wieder krachen flache Hände auf meinen Rücken und zur Verständnis- oder Mitleidsbekundung werden mir gefüllte Biergläser untergeschoben.
    Hans pustet durch seine Kubanische: »A jeds wiad ammoi gholt, vom Boandlkramer!«
    Ich sage »Ja, stimmt«. Olsen fährt ein »Jaja,’s richtig« hinterher. Aber alle sehen unseren naseweisen Gesichtern an, dass »Boandlkramer« für uns ein Fremdwort ist.
    Hans wiederholt: »Da Boandlkramer.«
    »Bondlwas?«
    Ich frage einfach mal.
    »Da Knochnsammla. Da Sensnmo. Da Tod hoid. Kummt irgendwann an jedn hoin. De oan friara«, Hans deutet auf mich, meint wohl meine Eltern, »den andern späta.« Dabei lässt er drei-, viermal seine Zigarre aufleuchten, als ob er sich durch Glutschilder den Tod vom Hals halten will. Eine kurze Pause des Insichgehens hängt in der Luft.
    Hans’ flüsternde Stimme wird düster wie ein Herbstwald in der Dämmerung.
    »Da Boandlkramer. A hagrer Mo. Blaß, gstingat, in an schwarzn, zrissna Mantl ghuit. As Gsicht nua Fetzn.«
    Offenbar scheint der Boandlkramer einem George-A.-Romero-Film entstiegen zu sein. Welch scheußliche Beschreibung die Bayern dem Tod andichten. Mundl übernimmt und führt zu Ende:
    »Er sammet de verstorbna Seeln ei. Und bringts nauf. In Himme. De Todgweihdn. Dem kummst ned aus.«
    »Doch!«, schreit Martl aufgeregt. »Oana håds gschafft.«
    »Ja, stimmt« und »Jaja, richtig« jetzt auf der bajuwarischen Seite.
    Hans erklärt: »Oana håds gschafft. Da Brandner Kasper. Der hådn ausdriggst. Beim Gros Oberln. Und håd de himmlische Ordnung ziemle prellt.«
    Olsen schlussfolgert: »Brandner Kasper? Der Besitzer dieses Wirtshauses?«
    Die Stammtischbrüder schauen mit aufgebogenen Augenbrauen. Dann erschallt ein Feuerwerk an heiserem Gebrüll. In ihre Lachsalven streuen sie gelegentlich einige »Ja, stimmt« und einige »Jaja, richtig«.
    Was an Olsens Fragestellung so erheiternd war, nehmen die Stammtischbrüder wohl mit ins Grab – oder erzählen es dem Sensenmann persönlich. Woher sollen wir denn wissen, dass die Geschichte des Brandner Kasper eine in bayrischer Mundart verfasste Kurzgeschichte von Franz von Kobell ist und dass er nicht der Urahn und Erbauer des Brandtnerhofes war.
    Ich habe mir die Frage, ob ich Angst vor dem Tod habe, oft durch die Gehirnwindungen getrieben, auch, ob er mich und meine Eltern wieder zusammenführt. Nun, nachdem meine Eltern seit über zwanzig Jahren tot sind, kann ich sagen: Ich habe weder Angst, noch glaube ich daran, dass wir Schmidts irgendwann an einem großen runden Tisch sitzen, der in einer wolkigen Ecke des Himmels steht, und sagen: »Da sind wir wieder. Alle gesund und munter. Lange hat’s gedauert. Aber jetzt ist wieder alles gut.« Nur eins weiß ich. Ich will nie ertrinken. Das fände ich äußerst unangenehm.
    Als sich die Boandlkramerhysterie verzogen hat, bestellt Martl einen Sauren Preßsack, einen roten.
    »Wås leichts voam Bettgeh«, kichert er, als ob er damit seiner Frau ein Schnippchen schlägt.
    Ich deute auf die Vitrine mit den sportlichen Erfolgen in Form von Pokalen, Tellern und Medaillen darin. Ich bemerke ein leichtes Übergewicht an Wintersportpokalen. Einige Fußballdevotionalien wie Wimpel, ein Fußball mit Autogrammen des FC Nantes von 1985, Pokale, Zinnkrüge und ein Foto, auf dem Herbert

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