Grimpow Das Geheimnis der Weisen
unter den Gästen nach ihm Ausschau und glaubte, ihn in einem Edelmann erkannt zu haben, der gerade genüsslich einen Bierkrug leerte. Doch als Salietti auf ihn zutrat, um ihn zu begrüßen, stellte er fest, dass er ihn verwechselt hatte. Als ein Diener bemerkte, dass er keinen Anschluss fand, wies er ihm seinen Platz an der Tafel bei einer Gruppe junger Ritter zu, die zwischen Scherzen und lautem Gelächter mit ihren Lanzen- und Schwertkünsten prahlten.
Kaum hatten Fanfarenstöße den Beginn des Mahls angekündigt, da trug auch schon eine Schar Bediensteter schwere Tabletts mit gebratenen Fasanen, Lämmern und Hirschen, Salaten, Früchten und Kuchen von der Küche in den Speisesaal. Als Salietti die Köstlichkeiten erblickte, regte sich sein Appetit, und er schlang ungehemmt so viel Essen in sich hinein, wie er nur konnte, ohne das Gejohle der jungen Ritter neben ihm weiter zu beachten.
Er vermutete, dass sich sämtliche Edlen aus dem Elsass, aus Lothringen und Burgund an den langen Tafeln versammelt hatten. Aufmerksam beobachtete er ihre Mienen, ihr Gelächter und ihre Gebärden, als wäre die Gesellschaft plötzlich verstummt und die Bilder zögen in Zeitlupe an ihm vorüber. Dann fiel sein Blick auf Fenio de Vokko, der ihn eindringlich musterte, während er sich zu dem Burgvogt zu seiner Rechten beugte und dessen Worten lauschte. Salietti deutete mit einem Nicken einen Gruß an, den der Baron interessiert erwiderte. Zur Linken des Burgherrn saß ein Dominikanermönch mit einem rötlichen Bart und einem narbenzerfurchten Gesicht. Salietti zweifelte keinen Augenblick daran, dass es sich um den ruchlosen Inquisitor Burumar de Gostelle handelte.
Vor dem Ende des Mahls ergriff der Baron das Wort und hielt eine kurze, von großspurigen Gesten untermalte Rede, in der er die anwesenden Ritter aufforderte, sich dem Kreuzzug anzuschließen. Anschließend betraten Gaukler den Waffensaal, spien lange Feuerzungen und vollführten dazu im Rhythmus ihrer durchdringenden Trompeten- und Tamburinmusik atemberaubende Sprünge und Kunststücke. Die Ritter hoben ihre Krüge und brachten ausführliche Trinksprüche aus, während die Damen entzückt in die Hände klatschten, miteinander tuschelten und kicherten.
Salietti bemerkte, als der Baron seinen Platz an der Tafel verließ und hinter dem Podium aus dem Saal zu seinen Gemächern ging.
Fenio de Vokko kann es nicht erwarten, mich kennenzulernen, dachte der Ritter bei sich. Sicher wird in Kürze einer seiner Herolde zu mir herüberkommen und mich in seinen Salon führen, malte er sich genüsslich aus.
Nicht lange darauf trat ein Herold zu ihm. »Verzeiht, mein Herr, der Baron wünscht Euch privat zu sprechen. Seid so gut und folgt mir«, flüsterte der Mann Salietti ins Ohr.
»Kommt herein, seid willkommen!«, rief Fenio de Vokko, als er Salietti an der Schwelle des weitläufigen Saals erblickte. Er erwartete den Ritter schon ungeduldig und schritt rastlos vor einem prächtigen Wandteppich auf und ab. Auf dem von zwei riesigen ausgestopften Hirschköpfen flankierten Teppich war die Stickerei eines aufrechten Bären zu sehen.
Salietti verbeugte sich mit freundlichem Lächeln. Er heuchelte Ehrerbietung und Bewunderung für seinen Gastgeber, aber in Wahrheit empfand er nichts als Abneigung und Wut gegen ihn.
»Der Burgvogt hat mir mitgeteilt, Ihr wünschtet, mich privat in einer Angelegenheit zu sprechen, die mich gewiss interessieren werde.«
»Ganz recht, mein Herr. Mein Name ist Salietti, Enkel des Herzogs Iacopo de Estaglia aus dem italienischen Piemont.«
Der Baron nickte zustimmend. »Eure Mitteilung muss von großer Wichtigkeit sein, wenn Ihr eine derart lange und mühevolle Reise auf Euch nehmt, um sie mir zu überbringen.«
»Das sollt Ihr allein beurteilen. Eigentlich bin ich zu Eurer Festung gekommen, um am Turnier teilzunehmen, dessen Ruhm und Ansehen, wie Ihr sicher wisst, bis nach Norditalien reichen.«
»Das stimmt wohl, denn jedes Jahr sind die Ritter aus Triest, Padua und Bozen zahlreicher vertreten, was uns aufrichtig erfreut«, sagte der Baron. Er gab sich herzlich und gesprächig, während Salietti seine Freundlichkeit als Bauernschläue durchschaute.
»Auf dem Ritt hierher haben mir einige reisende Edelleute von Eurer Absicht berichtet, schon bald die Burgen des Steinkreises zu stürmen. Auch habe ich die traurige Nachricht vernommen, dass Papst Clemens V. verstorben ist.«
»Diesen Verlust betrauern wir alle sehr. Und was meinen Plan angeht, so hat
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