Grimpow Das Geheimnis der Weisen
hatten, ergriff Grimpow als Erster das Wort. Der sternenübersäte Nachthimmel habe seine besondere Aufmerksamkeit geweckt, und er sei davon überzeugt, dass der Schlüssel zum Rätsel in den Sternen jener Himmelskarte stecke. Ihm seien die Worte Bruder Umbertos wieder eingefallen, der in der Krankenstube der Abtei zu ihm gesagt hatte, die Antworten auf die Fragen zum Geheimnis der Weisen seien über den Sternen zu finden. Außerdem entspreche der Satz den Worten im versiegelten Brief von Saliettis Vater. Er handle vom Licht, das ihnen den Unsichtbaren Weg erhellen würde und das, umgeben vom Dunkel seines eigenen Geheimnisses, am Himmel leuchte. Schließlich befand er noch, dass jene Himmelskuppel den Sternkarten gleiche, die Bruder Rinaldo in den wolkenlosen Nächten in der Abtei angefertigt hatte.
Im Himmel sind das Dunkel und das Licht
»Das klingt logisch, aber du hast bei der Deutung der Karte oben angefangen. Ich dagegen glaube, dass wir mit dem unteren Teil beginnen sollten«, meinte Weynelle. Dabei glänzten ihre schönen Augen genauso wie die Sterne auf dem Pergament vor ihnen.
»Was hat es mit dem unteren Teil der Karte deiner Ansicht nach auf sich?«, fragte Grimpow und faltete die Zeichnung, dass sie so aussah:
»Für mich sind im unteren Teil der Karte eindeutig die drei Etappen auf dem Weg zum Geheimnis der Weisen abgebildet. Erstens die versiegelte Kammer mit dem achteckigen Tisch und der Windrose. Was steht noch mal über den Unsichtbaren Weg in Aidor Bilbicums Handschrift? Dass er uns zur Insel Ipsar führen wird, wo Fabelwesen und Ungeheuer wohnen, wo wir dem Teufel entgegentreten und zu seinen Füßen die letzten Worte finden werden. Wenn du genau hinsiehst, dann fällt auf, dass die Insel Ipsar im Westen der versiegelten Kammer liegt, also im Westen der Burgen des Steinkreises und damit genau in der Richtung, der wir gefolgt sind. Unsere erste Erkenntnis lautet also, dass die Insel Ipsar im Westen liegt und wir auf dem Unsichtbaren Weg weiter in diese Richtung ziehen müssen.«
»Einverstanden«, pflichtete Grimpow ihr bei. »Deine Überlegung erscheint mir richtig, aber welche Bedeutung hat dann das Wort ARS mitten auf der Karte? Ich weiß zwar, dass dies das lateinische Wort für Kunst ist, aber was heißt das für unsere Suche?«
Er konnte sich keinen Reim darauf machen und überließ Weynelle die Initiative, die ihr Talent für Deutungen bereits in der Kammer bewiesen hatte.
»Vielleicht hat das Geheimnis oder der Ort, wo es versteckt liegt, etwas mit Kunst zu tun.«
»Kunst findet sich nur in Kirchen und Kathedralen!«, rief Grimpow, begeistert von seiner Erkenntnis.
»Ja, daran habe ich auch gerade gedacht«, sagte Weynelle angeregt.
»Daraus ließe sich als Nächstes folgern, dass wir eine Kirche oder Kathedrale im Westen suchen müssen.«
»So ist es«, stimmte Weynelle zu, »aber Frankreich ist voller Kirchen und Kathedralen. Es mag Hunderte davon geben. In jedem Dorf und jedem Weiler stehen Einsiedeleien und Kirchen, und kaum eine Stadt, so klein sie auch sein mag, rühmt sich nicht einer eigenen Kathedrale. Auch hier auf dem Marktplatz von Metz steht eine, wir sind gestern daran vorbeigekommen.«
»Daraus könnte man wiederum schließen, dass der nächste Schlüssel im oberen Teil der Karte zu suchen ist, in den Sternen der Himmelskuppel«, überlegte Grimpow.
Er ließ den Blick über die von ihm abgezeichnete Darstellung des Himmels wandern und hüllte sich geraume Zeit in Schweigen, während er in Gedanken bei den Nächten war, die er mit dem Bibliothekar auf dem Hügel vor der Abtei verbracht hatte. Auf einmal erinnerte er sich daran, wie sein Lehrer ihm die erste Sternkarte gezeigt und ihm erklärt hatte, dass sie den Nachthimmel wiedergebe, den er gerade vor Augen habe.
Im Himmel sind das Dunkel und das Licht
»Das sind echte Sternbilder! Der Himmel auf der Karte enthält ganz bestimmte Sternbilder. Deshalb ist der Weg zum Geheimnis der Weisen auch unsichtbar!«, rief Grimpow und senkte den Blick wieder auf seine Zeichnung.
Im Himmel sind das Dunkel und das Licht
Dann nahm er den Kohlestift und begann, die Punkte mit feinen, geraden Linien zu verbinden, bis sich das Gewirr vor seinen Augen zu klaren Sternbildern geordnet hatte.
»Das ist ja großartig, Grimpow! Es ist wahr: Im Himmel waren das Dunkel und das Licht. Aber du hast das Sternenlicht gefunden und damit den Unsichtbaren Weg sichtbar gemacht«, stellte Weynelle staunend fest.
Inzwischen zeichnete
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