Grimwood, Ken - Replay
einer noch härteren Auseinandersetzung sein, und Kennedy wäre gezwungen, die Wahlkampagne im Schatten andauernder Auseinandersetzungen im Kongress zu beginnen, anstatt mit der erhofften Aura eines zweifachen Siegs.« Sharla erhob sich in schweigender Verärgerung vom Sofa, ging auf die Treppe zu, die zu den oberen Stockwerken des Reihenhauses in der Dreiundsiebzigsten Straße Ost hinaufführten. »Ich warte im Bett auf dich«, rief sie über die Schulter zurück, in dem pfirsichfarbenen hauchdünnen Nachthemd wie nackt. Das heißt, wenn dir noch was daran liegt.«
»…trotz andauernder Kritik am Schweinebucht-Disaster, trotz schwerer Probleme mit so verschiedenartigen Dingen wie der AFL-CIO [American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations; größter amerikanischer Gewerkschaftsverband – Anm. d. Übers.] und der Stahlindustrie, bleiben das Image und die Person für die Mehrheit der Öffentlichkeit untrennbar. Seine sturmerprobte Jugendlichkeit, seine bezaubernde Frau und seine anhänglichen Kinder, die Tragödien und Triumphe seiner Familie haben überlebt, sein müheloser Charme und sein steter Sinn für Humor, das alles…«
Jeff spulte das Band des Videorecorder-Prototyps von Sony zurück, der ihn über elftausend Dollar gekostet hatte und zum Scheitern verurteilt war, ein Produkt, das seiner Zeit um zehn Jahre voraus war. Die Schwarzweißbilder der Dokumentationen über John F. Kennedy erhellten den Bildschirm ein weiteres Mal, so vertraut und trotzdem immer noch herzzerreißend: grinsend in seinem berühmten Schaukelstuhl, John-John und Caroline auf einer Flughafenlandebahn auf den Arm nehmend; mit seinen Brüdern am Strand von Hyannisport herumtollend. So viele Male hatte Jeff diese kurzen öffentlichen Ausschnitte aus dem Leben des Mannes gesehen; und immer, ein Vierteljahrhundert lang, war ihnen die offene Limousine in Dallas gefolgt, das wahnsinnige Entsetzen, das Blut auf Jackies Kleidern und den Rosen in ihrem Arm. Doch solche Bilder existierten jetzt noch nicht. Heute, in dieser Nachrichtensendung, vor noch nicht ganz zwei Stunden aufgezeichnet, würde es kein Bild von Lyndon B. Johnson geben, der die Macht übernahm, keinen Trauerzug durch Washington, keine Ewige Flamme bei der Abblende. Der Mann, von dem sie sprachen, war am Leben, war voller Kraft, voller Pläne für seine eigene Zukunft und die der Nation.
»…Charme und sein steter Sinn für Humor, das alles verlieh dem Gedanken einer New Frontier, eines neuen Anfangs zumindest oberflächlich Gewicht… die Herabkunft, wie manche es ausdrücken würden, eines modernen Camelot. Das kürzlich zusammengestellte Team zur Wiederwahl Kennedys wird eher mit diesem unglaublich positiven Image arbeiten müssen als mit einer soliden Auflistung der Erfolge der ersten Amtszeit. Sorensen, O’Donnell, Salinger, O’Brien und Bobby Kennedy sind sich der Stärken und Schwächen des Kandidaten sowie der Macht von Augenblicksmythen wohl bewußt. Man kann sicher sein, daß sie wissen, worauf sie während der bevorstehenden Kampagne ihr Augenmerk zu richten haben.«
Als nächstes brachten die Nachrichten eine Einstellung, in der Charles de Gaulle mit viel Pomp und Zeremoniell den Schah von Persien besuchte, und Jeff schaltete das Gerät ab. Kennedy am Leben, dachte er, wie schon so oft während der vergangenen paar Wochen. Kennedy, der das Land führte, der Himmel wußte wohin – zu wachsendem Wohlstand, einem Miteinander der Rassen, einem frühen Abzug aus Vietnam? John F. Kennedy am Leben – noch drei Wochen. Es sei denn, es sei denn… – was? Der Gedanke war unwiderstehlich, so ausgefallen und so abgedroschen er auch sein mochte. Aber das hier war kein Fernsehfilm, keine Science-Fiction-Geschichte; Jeff war hier, in dieser noch unzerstörten Welt von 1963, mit der größten Tragödie dieser Ära vor seinen nur allzu wissenden Augen. War es möglich für ihn zu intervenieren, und wäre es angebracht? Er hatte bereits damit begonnen, größere Veränderungen in den ökonomischen Realitäten der Zeit vorzunehmen, schon durch die Gründung der Future Inc., und das Raum-Zeit-Kontinuum hatte bislang noch keine Anzeichen von Überbeanspruchung gezeigt.
Bestimmt, dachte Jeff, gab es etwas anderes, das er gegen die drohende Ermordung unternehmen konnte, als sich dem Killer in jenem Zimmer im sechsten Stock des Schulbuchdepots von Texas am 22. November selbst entgegenzustellen. Ein Anruf beim FBI, ein Brief an den Secret Service? Aber dort
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