Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
sich geändert hat?«, fragte sie gequetscht. Ihre Lippen wurden schmal, sie stemmte die Fäuste in die Seiten. »Ich hatte eine Tante in Nowokribirsk. Und eine Nichte. Wenn der Dunkle mir von seinem Vorhaben erzählt hätte, dann hätte ich sie warnen können …« Die Stimme versagte ihr und ich schämte mich schlagartig für die Freude, die es mir bereitet hatte, sie zappeln zu lassen.
Baghras Worte hallten in mir nach: Offenbar findest du Gefallen an der Macht. Je mehr du hast, desto mehr wirst du begehren. Aber konnte ich Zoja glauben? War der feuchte Schimmer ihrer Augen echt oder gespielt? Sie blinzelte ihre Tränen weg und starrte mich an. »Ich mag dich immer noch nicht, Starkowa. Und ich werde dich nie mögen. Du bist viel zu gewöhnlich und plump und ich verstehe nicht, wie du mit einer so großen Macht auf die Welt kommen konntest. Aber du bist nun einmal die Sonnenkriegerin, und wenn du Rawka die Freiheit erhalten kannst, kämpfe ich für dich.«
Ich betrachtete sie nachdenklich und bemerkte die roten Flecken, die auf ihren Wangen brannten, das Zittern ihrer Unterlippe.
»Und?«, sagte sie, und ich merkte, wie viel Überwindung es sie kostete, diese Frage zu stellen: »Jagst du mich jetzt in die Wüste?«
Ich ließ mir Zeit mit der Antwort. »Du darfst bleiben«, sagte ich schließlich. »Vorerst.«
»Alles in Ordnung?«, fragte Maljen. Wir hatten nicht bemerkt, dass der Übungskampf vorbei war.
Zojas Unsicherheit war wie weggeblasen. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Du sollst ja ein meisterhafter Bogenschütze sein. Unterrichtest du mich?«
Maljen sah von Zoja zu mir. »Vielleicht später.«
»Ich freue mich darauf«, sagte sie und stolzierte mit rauschender Seidenkefta davon.
»Was war denn los?«, fragte Maljen, während wir den Hügel zum Kleinen Palast erklommen.
»Ich traue ihr nicht.«
Er schwieg eine ganze Weile. »Alina«, sagte er dann, »was da in Kribirsk geschehen ist …«
Ich schnitt ihm das Wort ab, denn ich wollte gar nicht wissen, was zwischen ihm und Zoja im Lager der Grischa vorgefallen war. Darum ging es auch gar nicht. »Sie war immer einer der Lieblinge des Dunklen und sie hat mich immer gehasst.«
»Sie war sicher nur eifersüchtig.«
»Sie hat mir zwei Rippen gebrochen.«
»Sie hat was ?«
»Es war ein Unfall. Sozusagen.« Ich hatte Maljen nie genau erzählt, wie es für mich während der unzähligen einsamen Tage gewesen war, bevor ich meine Macht gemeistert hatte. »Ich weiß nicht, wem sie wirklich treu ist.« Ich rieb mir den verspannten Nacken. »Nichts ist gewiss. Weder was die Grischa noch was die Diener betrifft. Jeder von ihnen könnte für den Dunklen arbeiten.«
Maljen sah sich um. Ausnahmsweise schien uns niemand zu beobachten und er griff spontan nach meiner Hand. »Gritzki veranstaltet in zwei Tagen eine Feier, bei der allen Gästen die Zukunft vorhergesagt werden soll. Komm doch mit.«
»Gritzki?«
»Sein Vater ist Stepan Gritzki, der Gewürzgurkenkönig. Ein Neureicher.« Maljen äffte den blasierten Tonfall der Adeligen gekonnt nach, als er sagte: »Seine Familie besitzt eine Villa am Kanal.«
»Das geht nicht«, sagte ich und dachte an die Sitzungen, Davids Spiegelschüsseln, die Evakuierung der Schule. Der Krieg konnte in wenigen Tagen oder Wochen ausbrechen – wie sollte ich da feiern?
»Doch, das geht«, sagte Maljen. »Nur für ein oder zwei Stunden.«
Die Versuchung war groß – den Verpflichtungen des Kleinen Palastes gemeinsam mit Maljen eine Weile zu entfliehen.
Er spürte, dass ich ins Schwanken kam. »Du kannst dich als einer der Künstler verkleiden, die dort auftreten«, sagte er. »Niemand wird ahnen, dass die Sonnenkriegerin anwesend ist.«
Eine Feier am späten Abend, nach getaner Arbeit. Ich würde nur meine vergeblichen Recherchen in der Bibliothek versäumen. Was konnte das schaden?
»Na gut«, sagte ich. »Wir gehen hin.«
Auf seinem Gesicht breitete sich ein atemberaubend strahlendes Lächeln aus. Ob ich mich jemals an den Gedanken gewöhnen konnte, dass mir ein solches Lächeln galt?
»Tolja und Tamar wird das nicht gefallen«, sagte er warnend.
»Sie gehören zu meiner Leibgarde. Sie gehorchen mir.«
Maljen schlug die Hacken zusammen und verbeugte sich formvollendet. »Da, moj Soverenij«, sagte er todernst. »Wir leben, um zu dienen.«
Ich verdrehte die Augen, doch als ich zu den Werkstätten der Materialki eilte, fühlte ich mich so leicht wie seit Wochen nicht mehr.
Die Villa der Familie
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