Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
Monate gebraucht, um den Hirsch zu finden«, sagte Maljen verzweifelt. »Und ich weiß bis heute nicht, wie ich es geschafft habe.«
Sturmhond trat vor. Ich war so auf Maljen und den Dunklen konzentriert gewesen, dass ich ihn fast vergessen hatte. »Ich dulde nicht, dass auf meinem Schiff jemand gefoltert wird«, sagte er.
Der Dunkle ließ seinen kalten Blick zum Freibeuter gleiten. »Du stehst in meinen Diensten, Sturmhond. Also kümmere dich um deinen eigenen Kram. Denn wenn du das nicht tust, wird die Entlohnung deine geringste Sorge sein.«
Plötzlich lag eine offen feindselige Stimmung in der Luft. Sturmhonds Männer maßen die Grischa mit Blicken, und diese Blicke waren nicht gerade freundlich. Genja hatte eine Hand vor den Mund gelegt, schwieg jedoch.
»Gib dem Fährtensucher etwas Zeit«, sagte Sturmhond ruhig. »Eine Woche. Wenigstens ein paar Tage.«
Der Dunkle schob einen meiner Ärmel hoch und entblößte die helle Haut. »Soll ich mit ihrem Arm beginnen?«, fragte er, ließ den Stoff zurückfallen und strich mir mit seinen Knöcheln über die Wange. »Oder mit ihrem Gesicht?« Er nickte Iwan zu. »Halt sie fest.«
Iwan packte meinen Hinterkopf. Der Dunkle hob das Messer. Ich sah aus den Augenwinkeln das Glitzern der Klinge, versuchte mich loszureißen, aber Iwan ließ nicht locker. Die Klinge berührte meine Wange. Ich japste erschrocken auf.
»Halt!«, rief Maljen.
Der Dunkle hielt inne.
»Ich … ich tue es.«
»Nein, Maljen«, sagte ich mutiger, als ich mich fühlte.
Maljen schluckte und sagte: »Kurs auf Südwest. Wir müssen umkehren.«
Ich stand reglos da. Hatte er etwas gesehen? Oder wollte er nur verhindern, dass man mir wehtat?
Der Dunkle musterte Maljen mit zur Seite geneigtem Kopf. »Ich gehe davon aus, dass du zu klug bist, um mich zum Narren zu halten, Fährtensucher.«
Maljen nickte ruckartig. »Ich kann es schaffen. Ich kann die Meeresgeißel finden. Ich brauche … brauche nur etwas Zeit.«
Der Dunkle ließ das Messer in die Scheide gleiten. Ich atmete langsam aus und unterdrückte einen Schauder.
»Du bekommst genau eine Woche«, sagte er. Dann wandte er sich ab und verschwand in der Luke. »Bring sie zu mir«, rief er, an Iwan gewandt.
»Maljen …«, sagte ich, aber Iwan hatte mich schon wieder fest im Griff.
Maljen reckte die gefesselten Hände und streichelte meine Finger. Iwan zerrte mich zur Luke.
Meine Gedanken überschlugen sich, während ich Iwan stolpernd in den dunklen Schiffsbauch folgte. Ich versuchte zu begreifen, was sich gerade abgespielt hatte. Der Dunkle hatte gesagt, er würde Maljen nichts tun, solange er ihn brauchte. Was, wie ich zunächst geglaubt hatte, hieß, dass er ihn benutzte, um mich gefügig zu machen. Aber jetzt wusste ich, dass mehr dahinterstecken musste. Konnte Maljen die Meeresgeißel tatsächlich aufspüren oder spielte er auf Zeit? Schwer zu sagen, was mir lieber gewesen wäre. Ich wollte nicht gefoltert werden, aber was würde geschehen, wenn wir den Eisdrachen erst einmal aufspürten? Welche Bedeutung hätte ein zweiter Kräftemehrer?
Iwan zog mich in eine geräumige Kabine, die den Eindruck erweckte, als stünde sie dem Kapitän zu. Sturmhond war offenbar in die engen Mannschaftsquartiere umgezogen. Die niedrige Decke war gewölbt, in einer Ecke stand ein Bett und durch die dick verglasten Fenster in der Rückwand fiel wässeriges Licht auf den Tisch, an dem der Dunkle Platz nahm.
Iwan verneigte sich, verschwand hastig und schloss die Tür hinter sich.
»Er hält es nicht lange in deiner Nähe aus«, sagte ich, vor der Tür stehend. »Er fürchtet sich vor der Person, in die du dich verwandelt hast. Alle fürchten dich.«
»Fürchtest du mich, Alina?«
»Genau das willst du doch, nicht wahr?«
Der Dunkle zuckte mit den Schultern. »Die Angst ist ein mächtiger Verbündeter«, sagte er. »Und ein getreuer.«
Er betrachtete mich auf diese kalte, abschätzende Art, die mir immer das Gefühl gab, als würde er in mir lesen wie in einem Buch: Seine Finger glitten über die Zeilen und er gewann ein geheimes Wissen, das mir verschlossen blieb. Ich versuchte ganz ruhig zu bleiben, aber die Ketten scheuerten irritierend an meinen Handgelenken.
»Ich würde dich gern von den Ketten befreien«, sagte er leise.
»Du willst mich befreien, du willst mich häuten. So viele Möglichkeiten.« Ich spürte immer noch den Druck seines Messers auf der Wange.
Er seufzte. »Das war nur eine Drohung, Alina. Und ich habe damit erreicht, was
Weitere Kostenlose Bücher