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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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Morozows Geheimnisse anhand eines Kinderbuches entschlüsseln könnte?
    »Du weißt nicht, wovon du redest«, sagte ich zu Sturmhond. »Kein Grischa hat jemals einen zweiten Kräftemehrer gehabt. Die Risiken …«
    »Oh, dieses Wort solltest du in meiner Gegenwart besser nicht verwenden. Denn ich liebe das Risiko.«
    »Aber nicht so eins«, sagte ich grimmig.
    »Jammerschade«, murmelte er. »Ich kann nur hoffen, dass der Dunkle uns nicht einholt, denn dieses Schiff übersteht kein weiteres Gefecht. Ein zweiter Kräftemehrer wäre da eine große Hilfe. Vielleicht sogar ein Vorteil. Faire Kämpfe widern mich nämlich an.«
    »Er könnte mich auch töten, dieses Schiff versenken, eine zweite Schattenflur oder noch Schlimmeres erschaffen.«
    »Du hast eindeutig eine Vorliebe für Schreckensszenarien.«
    Ich ließ meine Finger in die Tasche gleiten, tastete nach den Rändern der feuchten Schuppen. Ich wusste viel zu wenig und meine Kenntnisse über die Grischa-Theorie waren bestenfalls bruchstückhaft. Doch eines war immer ganz klar gewesen: ein Grischa – ein Kräftemehrer. Ich erinnerte mich an die Worte aus einem der schwierigen philosophischen Texte, die ich hatte lesen müssen: »Warum kann ein Grischa nur einen Kräftemehrer besitzen? Ich will stattdessen folgende Frage beantworten: Was ist unendlich? Das Universum und die Gier des Menschen.« Ich brauchte Zeit zum Nachdenken.
    »Wirst du dein Wort halten?«, fragte ich schließlich. »Wirst du uns zur Flucht verhelfen?« Schwer zu sagen, warum ich das überhaupt fragte, denn falls er vorhätte, uns zu verraten, würde er das sicher nicht zugeben.
    Da ich wieder mit einer ironischen Antwort rechnete, war ich überrascht, als er fragte: »Möchtest du deinem Heimatland tatsächlich so rasch wieder den Rücken kehren?«
    Ich schwieg. Und währenddessen leidet dein Land. Der Dunkle hatte mir vorgeworfen, Rawka im Stich zu lassen. Er irrte sich zwar in vielem, aber in diesem Punkt hatte er wohl Recht. Ich hatte mein Land der Willkür der Schattenflur ausgeliefert, einem schwachen Zaren und gierigen Tyrannen wie dem Dunklen oder dem Asketen. Und wenn die Gerüchte zutrafen, dann dehnte sich die Schattenflur immer weiter aus und Rawka zerfiel. Wegen des Dunklen. Wegen des Halsreifs. Meinetwegen.
    Ich blickte zur Sonne auf, spürte die Meeresbrise auf meiner Haut und sagte: »Ich will unbedingt frei sein.«
    »Solange der Dunkle lebt, bist du nicht frei. Genauso wenig wie dein Land. Und das weißt du.«
    Ich hatte mich gefragt, ob Sturmhond dumm oder gierig war, aber ich hatte ihn nie als Patrioten gesehen. Andererseits stammte er aus Rawka, und obwohl er sich mit seinen Raubzügen die Taschen gefüllt hatte, hatte er damit vermutlich mehr für sein Land getan als die gesamte, schlecht aufgestellte Flotte Rawkas.
    »Ich möchte die Wahl haben«, sagte ich.
    »Du hast die Wahl«, erwiderte er. »Das schwöre ich bei meiner Ehre als Lügner und Halsabschneider.« Er wollte gehen, drehte sich aber noch einmal um. »In einem Punkt hast du Recht, Sonnenkriegerin. Der Dunkle ist ein mächtiger Feind. Du solltest dich deshalb fragen, ob du nicht vielleicht ein paar mächtige Freunde gebrauchen könntest.«
    Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als eine Stunde für mich allein zu haben, um mich in aller Ruhe in die Istorii Sankt’ja vertiefen zu können, aber Tamar wartete schon darauf, mich in mein Quartier zu führen.
    Die bauchige Kogge, die Maljen und mich nach Nowij Sem gebracht hatte, und auch der träge Walfänger, dem wir entkommen waren, hielten keinem Vergleich mit Sturmhonds Schoner stand. Dieser war schlank, schwer bewaffnet und ein Wunder der Schiffbaukunst. Wie Tamar erzählte, hatte Sturmhond ihn von einem semenischen Piraten erbeutet, der vor der Südküste Schiffen aus Rawka aufgelauert hatte. Sturmhond war so angetan gewesen, dass er den Schoner kurzerhand zu seinem Flaggschiff gemacht und auf den Namen Wolkwolnij getauft hatte, Wellenwolf.
    Wölfe. Sturmhond. Der rote Hund auf der Flagge. Immerhin wusste ich nun, warum die Besatzung ständig kläffte und jaulte.
    Jeder Quadratzentimeter des Schoners wurde genutzt. Die Besatzung schlief auf dem Geschützdeck. Im Falle eines Gefechts konnten sie ihre Hängematten rasch wegpacken und die Kanonen in Stellung bringen. Und meine Vermutung, dass ein Korporalnik an Bord war, der einen Otkazat’ja -Arzt überflüssig machte, traf zu. Kajüte und Vorratskammer des Schiffsarztes dienten Tamar als Unterkunft. Ihre

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