Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
Vom Netzwerk:
Erleichterung fast geweint.
    Ich erblickte Tolja und Tamar im Wasser, umgeben von der übrigen Besatzung. Tolja hatte den verwundeten Stürmer im Schlepptau. Sturmhond folgte ihm mit einem bewusstlosen Seemann im Arm. Wir schwammen zum Ufer.
    Meine wunden Arme und Beine waren bleischwer, nicht zuletzt wegen der vollgesogenen Kleider, aber wir schafften es ans Ufer. Dort hievten wir uns aus dem Wasser, wateten auf schlammigem Boden durch das Schilf und ließen uns dann auf den Strand fallen.
    Ich lag keuchend da und lauschte den befremdlich normalen Geräuschen des frühen Morgens: Grillen im Gras, Vögel im Wald, das leise, zögernde Krächzen eines Frosches. Tolja behandelte den verwundeten Stürmer und bat ihn, die Finger und den Ellbogen anzuwinkeln. Ich hörte, wie Sturmhond an Land watete und Tamar den letzten Seemann übergab.
    »Er atmet nicht«, sagte Sturmhond, »und ich fühle auch keinen Puls mehr.«
    Ich erhob mich mühsam. Hinter uns ging die Sonne auf und wärmte meinen Rücken, ihr Schein fiel golden auf den See und die Baumwipfel. Tamar hatte ihre Hände auf die Brust des Seemanns gedrückt und benutzte ihre Macht, um das Wasser aus seiner Lunge zu entfernen und sein Herz wieder zum Schlagen zu bringen. Der Seemann lag leblos im Sand und die Minuten schienen sich endlos zu dehnen. Dann stieß er ein Ächzen aus. Seine Lider flatterten und er spuckte Seewasser auf sein Hemd.
    Ich atmete erleichtert auf. Wenigstens hatte ich diesen Mann nicht auch noch auf dem Gewissen.
    Ein anderer Seemann tastete seinen Oberkörper nach gebrochenen Rippen ab. Maljen hatte eine hässliche Schnittwunde auf der Stirn. Aber wir waren vollzählig. Wir hatten es geschafft.
    Sturmhond watete wieder in den See. Sein Militärmantel wellte sich auf dem Wasser, während er knietief darin stand und die stille Oberfläche des Sees betrachtete. Außer einer tiefen Furche im Sand zeugte nichts mehr von der Existenz der Kolibri .
    Die unverletzte Stürmerin drehte sich zu mir um. »Was war los?«, fauchte sie. »Kowu wäre fast gestorben. Wir sind alle nur knapp mit dem Leben davongekommen.«
    »Ich weiß auch nicht«, sagte ich und senkte den Kopf auf die Knie.
    Maljen legte einen Arm um mich, aber ich wollte keinen Trost. Ich wollte eine Erklärung für das, was ich erblickt hatte.
    »Du weißt es nicht?«, fragte sie ungläubig.
    »Ja, ich weiß es nicht«, wiederholte ich und war überrascht, wie wütend ich klang. »Ich habe nicht darum gebeten, in die Schattenflur gebracht zu werden. Ich war nicht auf einen Kampf mit den Volkra aus. Warum fragst du nicht deinen Kapitän, was los war?«
    »Sie hat Recht«, sagte Sturmhond, der aus dem Wasser auf uns zukam und dabei seine zerfetzten Handschuhe auszog. »Ich hätte sie rechtzeitig warnen und das Nest in Ruhe lassen müssen.«
    Seine Unterstützung machte mich noch wütender. Doch als Sturmhond Mütze und Brille absetzte, wich meine Wut einer tiefen Verwirrung.
    Ich saß wie erstarrt da, vergaß Schmerzen und Erschöpfung. Ich wusste nicht, was ich da sah, war aber froh, Maljen an meiner Seite zu haben. Nach allem, was geschehen war, traute ich mir selbst nicht mehr.
    Sturmhond seufzte und fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht – ein fremdes Gesicht.
    Sein Kinn war nicht mehr so spitz. Seine Nase war zwar noch etwas schief, aber weniger höckerig. Seine Haare waren nicht mehr rotbraun, sondern dunkelblond und militärisch kurz, und seine sonderbar trüben, grünen Augen waren nun von einem klaren Braungrün. Er wirkte wie verwandelt, war aber eindeutig Sturmhond.
    Und er sieht gut aus , schoss es mir halb verdutzt und halb erzürnt durch den Kopf.
    Maljen und ich staunten als Einzige – Sturmhonds Besatzung zeigte keine Spur von Überraschung.
    »Du hast einen Bildner«, sagte ich.
    Sturmhond wand sich.
    »Ich bin kein Bildner«, sagte Tolja erbost.
    »Nein, Tolja, du hast andere Begabungen«, sagte Sturmhond beruhigend. »Vor allem in den höchst ehrenwerten Bereichen des Tötens und Verstümmelns.«
    »Warum tust du das?«, fragte ich, ohne die Tatsache verdaut zu haben, dass Sturmhonds Stimme aus dem Mund einer anderen Person drang.
    »Der Dunkle durfte mich nicht erkennen. Er hat mich zwar zuletzt gesehen, als ich vierzehn war, aber ich wollte nichts riskieren.«
    »Wer bist du?«, fragte Maljen wütend.
    »Das ist eine heikle Frage.«
    »Ich finde, sie ist kinderleicht«, sagte ich und sprang auf. »Aber die Antwort würde Ehrlichkeit voraussetzen, und die geht dir

Weitere Kostenlose Bücher