Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

gekommen. Die Frage war nur, was danach kam. Sturmhond hatte sich verändert, unsere Situation jedoch nicht. Wir hatten weder Geld noch Verbündete, und wir wurden weiterhin vom Dunklen gejagt. Außerdem verspürte ich keine Lust, auf die Schattenflur zurückzukehren, nicht nach allem, was an Bord der Kolibri geschehen war.
    Ich schluckte ein leeres Lachen hinunter. Wenn ich erwog, mich in der Ödsee zu verkriechen, musste es sehr schlimm um mich stehen.
    Ein Diener trat mit einem großen Tablett ein. Er stellte einen Krug Wasser auf den Tisch, eine Flasche Kwass samt Gläsern und einige kleine Teller mit Zakuski . Alle Teller hatten einen Goldrand und waren mit dem Doppeladler verziert.
    Ich betrachtete das Essen: geräucherte Sprotten auf Schwarzbrot, eingelegte Rote Bete, gefüllte Eier. Wir hatten zuletzt abends auf der Wolkwolnij gegessen und nach der Anwendung meiner Macht hatte ich einen Bärenhunger, doch ich war so nervös, dass ich keinen Bissen hinunterbekam.
    »Was war denn mit dir los?«, fragte Maljen, sobald der Diener verschwunden war.
    Ich schüttelte wieder die Hände aus. »Ich habe einfach die Beherrschung verloren.«
    »Nein, das meine ich nicht. Was ist auf der Schattenflur passiert?«
    Ich betrachtete ein Töpfchen mit Kräuterbutter, drehte es hin und her.
    »Ich war müde«, sagte ich leichthin.
    »Du hast eine noch viel stärkere Macht eingesetzt, als wir vor den Nitschewo’ja geflohen sind, und da hast du nicht nachgelassen. Liegt es am Armband?«
    »Das Armband mehrt meine Kraft«, sagte ich und zupfte am Ärmel über den Schuppen der Meeresgeißel. Außerdem trug ich es erst seit kurzem. Mit meiner Macht stimmte alles, aber vielleicht stimmte etwas nicht mit mir. Ich zeichnete ein unsichtbares Muster auf den Tisch. »Findest du nicht auch, dass die Volkra diesmal anders klangen?«, fragte ich.
    »Anders? Wie meinst du das?«
    »Etwas … menschlicher?«
    Maljen runzelte die Stirn. »Nein, sie klangen wie immer. Wie Ungeheuer, die uns fressen wollten.« Er griff nach meiner Hand. »Was war los, Alina?«
    Ich habe ihn gesehen . »Wie gesagt: Ich war müde. Konnte mich nicht mehr konzentrieren.«
    Er zog seine Hand fort. »Lüg mich nur weiter an. Aber ich werde nicht so tun, als würde ich dir glauben.«
    »Warum nicht?«, fragte Sturmhond, der in das Zelt trat. »Das wäre nur höflich.«
    Wir sprangen kampfbereit auf.
    Sturmhond blieb stehen und hob die Hände zum Zeichen seiner friedfertigen Absichten. Er hatte sich eine trockene Uniform angezogen. Auf seiner Wange bildete sich ein blauer Fleck. Er nahm den Säbel ab und hängte ihn über eine Stange beim Zelteingang.
    »Ich will nur reden«, sagte er.
    »Dann rede«, erwiderte Maljen. »Wer bist du und welches Spiel spielst du?«
    »Nikolaj Lantsow, aber bitte erspart mir die wiederholte Aufzählung meiner Titel. Das wäre ermüdend, und wichtig ist sowieso nur der ›Prinz‹.«
    »Und was ist mit Sturmhond?«, fragte ich.
    »Ich bin auch Sturmhond, Kapitän der Wolkwolnij , Geißel der Wahren See.«
    »Geißel?«
    »Nun, ich kann jedenfalls sehr hartnäckig sein.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Unmöglich.«
    »Unwahrscheinlich.«
    »Dies ist nicht der richtige Moment, sich als Alleinunterhalter zu versuchen.«
    »Bitte«, sagte er versöhnlich. »Setzt euch. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich kann im Sitzen vieles besser verstehen. Hat vermutlich mit dem Blutkreislauf zu tun. Besser wäre es natürlich, sich zurückzulehnen, aber ich denke nicht, dass wir schon so vertraut miteinander sind.«
    Ich rührte mich nicht vom Fleck. Maljen verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Also gut. Schön. Dann setze ich mich. Die Rolle des heimgekehrten Helden ist ziemlich ermüdend, ich bin wirklich ausgepumpt.« Er ging zum Tisch, schenkte sich ein Glas Kwass ein und ließ sich mit einem zufriedenen Seufzen auf einem Stuhl nieder. »Grauenhaftes Zeug«, sagte er. »Hat mir nie recht geschmeckt.«
    »Dann bestellt Euch einen Cognac, Eure Hoheit «, sagte ich gereizt. »Man wird Euch zweifellos alles vorsetzen, was Ihr wünscht.«
    Seine Miene hellte sich auf. »Wohl wahr. Ich könnte jetzt in einer Wanne mit Cognac baden. Gute Idee.«
    Maljen riss entnervt die Arme hoch und ging zum Eingang, um einen Blick auf das Lager zu werfen.
    »Erwartest du allen Ernstes, dass wir dir diesen Quatsch auch nur ansatzweise abkaufen?«, fragte ich.
    Sturmhond drehte die Hand so hin, dass wir den Ring an seinem Finger sehen konnten. »Ich trage das