Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
euch allein.« Nikolaj verließ eilends das Zelt und hielt nur inne, um den Säbel mitzunehmen.
Die Stille im Zelt schien sich auszudehnen.
»Wohin soll das führen, Alina?«, fragte Maljen. »Wir sind mit Mühe und Not aus diesem verfluchten Land entkommen und jetzt sollen wir wieder im Sumpf versinken?«
Ich legte mich auf das Bett und schob die Hände hinter den Kopf. Ich war erschöpft und jeder Knochen im Leib tat mir weh.
»Was soll ich denn tun?«, fragte ich kläglich. »Was hier passiert, was mit Rawka geschieht – daran bin ich nicht ganz unschuldig.«
»Unsinn.«
Ich lachte hohl. »Doch, es stimmt. Ohne mich würde die Schattenflur sich nicht ausdehnen. Nowokribirsk wäre noch unversehrt.«
»Alina«, sagte Maljen, hockte sich vor das Bett und legte mir die Hände auf die Knie, »du wärst dem Dunklen selbst mit allen Grischa und tausend von Sturmhonds Geschützen nicht gewachsen.«
»Wenn wir den dritten Kräftemehrer hätten …«
»Wir haben ihn aber nicht!«
Ich ergriff seine Hände. »Wir werden ihn finden.«
Er sah mir in die Augen. »Hast du je daran gedacht, dass ich ablehnen könnte?«
Das war wie ein Schlag in die Magengrube. Nein, ich hatte nie daran gedacht. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass Maljen ablehnen könnte, und ich schämte mich plötzlich. Er hatte zwar alles aufgegeben, um bei mir sein zu können, aber das bedeutete nicht, dass er glücklich damit war. Vielleicht hatte er genug von all den Kämpfen, der Angst, der Ungewissheit. Vielleicht war er meiner überdrüssig.
»Ich dachte … ich dachte, es wäre unser gemeinsames Anliegen, Rawka zu helfen.«
»War es das wirklich?«, fragte er.
Er stand auf und ging. Ich schluckte schwer, kämpfte gegen einen Schmerz in meiner Kehle an.
»Dann kommst du nicht mit nach Os Alta?«
Er blieb im Zelteingang stehen. »Du wolltest den zweiten Kräftemehrer. Du hast ihn. Nun willst du nach Os Alta? Na schön, meinetwegen. Du sagst mir, dass du den Feuervogel brauchst. Ich werde dir helfen, ihn aufzuspüren. Aber ich frage mich, ob du auch mich immer noch willst, nachdem all das vollbracht ist, Alina.«
Ich sprang vom Bett auf. »Aber natürlich! Maljen …«
Doch er wartete nicht ab, was ich zu sagen hatte. Er trat in den Sonnenschein und war verschwunden.
Ich drückte die Handballen gegen meine Augen, um die drohenden Tränen zurückzudrängen. Was tat ich? Ich war keine Zarin. Ich war keine Heilige. Und ich verstand mich nicht auf die Führung einer Armee.
In einem Rasierspiegel, der auf dem Nachttisch stand, erhaschte ich einen Blick auf mich. Ich zog Mantel und Hemd von der Schulter und betrachtete die Bisswunde. Die Zähne des Nitschewo’ja zeichneten sich auf meiner Haut als schwarze Pusteln ab. Laut dem Dunklen würde die Wunde nie richtig verheilen.
Welche Wunde konnte durch die Macht der Grischa nicht geheilt werden? Eine, die von Wesen geschlagen worden war, die gar nicht existieren dürften.
Ich habe ihn gesehen . Das Gesicht des Dunklen, bleich und schön, sein Messerhieb. Er hatte so echt gewirkt. Was war auf der Schattenflur geschehen?
Wenn ich nach Os Alta zurückkehrte und die Führung der Zweiten Armee übernahm, wäre das genau genommen eine Kriegserklärung. Der Dunkle würde wissen, wo ich mich aufhielt, und sobald er stark genug wäre, würde er mich suchen. Ob wir nun bereit waren oder nicht, uns blieb nur die Wahl, ihm entgegenzutreten. Das war ein grauenhafter Gedanke, aber zu meiner Überraschung erfüllte er mich auch mit einer gewissen Erleichterung.
Ja, ich würde ihm entgegentreten. Und dadurch allem ein Ende bereiten, so oder so.
Wir brachen nicht sofort nach Os Alta auf, sondern nutzten die nächsten drei Tage, um mehrere von Schiffen gelöschte Warenladungen durch die Schattenflur zu schaffen. Das verwaiste Militärlager in Kribirsk diente uns als Stützpunkt. Der Großteil der Truppen war abgezogen worden, nachdem die Schattenflur sich weiter ausgedehnt hatte. Man hatte einen neuen Wachturm erbaut, um die finsteren Gestade der Ödsee beobachten zu können, und in den Trockendocks arbeitete nur noch eine Notfallmannschaft.
Alle Grischa waren aus dem Lager verschwunden. Nach dem versuchten Putsch des Dunklen und der Zerstörung von Nowokribirsk war den Grischa in Rawka und auch vonseiten der Ersten Armee große Feindseligkeit entgegengeschlagen. Das überraschte mich nicht. Denn eine Stadt war vollkommen ausgelöscht, ihre Bewohner von Ungeheuern gefressen worden. Rawka würde
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