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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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umgekommen. In ganz Rawka und West-Rawka werden seit Monaten Gebeine von dir verkauft. Du bist ein beliebter Glücksbringer.«
    »Das sollen meine Finger sein?«
    »Knöchel, Zehen, Rippenteile.«
    Mir wurde schlecht. Ich sah mich in der Hoffnung um, Maljen zu erblicken, denn ich brauchte etwas Vertrautes.
    »Wenn auch nur die Hälfte dieser Knochen von deinen Zehen stammen würde«, fuhr Nikolaj fort, »müsstest du natürlich mindestens hundert Füße haben. Aber der Aberglaube hat große Macht.«
    »Wie auch der Glaube«, sagte jemand hinter mir, und als ich mich umdrehte, sah ich zu meiner Überraschung Tolja, der mit ernstem Gesicht auf einem großen schwarzen Streitross saß.
    Ich knickte innerlich ein. Die Zuversicht, die mich vor einer Stunde erfüllt hatte, war verflogen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, als würde der Himmel auf mir lasten und mich von allen Seiten erdrücken. Ich trieb mein Pferd zu einem Trab an. Ich war nie eine besonders gute Reiterin gewesen, preschte aber weiter, bis Kribirsk in der Ferne verschwand und das Klappern von Knochen nicht mehr an meine Ohren drang.
    In jener Nacht stiegen wir im Dörfchen Wernost in einer Herberge ab, in der uns ein Trupp schwer bewaffneter Soldaten der Ersten Armee erwartete. Ich erfuhr bald, dass sie aus dem zweiundzwanzigsten Regiment stammten, in dem Nikolaj gedient und das er während des Feldzugs im Norden mit befehligt hatte. Der Prinz wollte offenbar unter Freunden sein, wenn er in Os Alta Einzug hielt. Das konnte ich gut verstehen.
    In ihrer Gesellschaft schien er sich zu entspannen und mir fiel wieder auf, wie problemlos er seine Art ändern konnte. Zunächst hatte er sich von dem mit allen Wassern gewaschenen Abenteurer in einen hochnäsigen Prinzen verwandelt, und nun war er der geliebte Kommandeur, ein Soldat, der gern mit seinen Kameraden lachte und die Namen aller niederen Dienstränge kannte.
    Die Soldaten hatten eine prunkvolle Kutsche mitgebracht. Sie war im Hellblau Rawkas lackiert und auf einer Seite mit dem Doppeladler des Zaren verziert. Nikolaj hatte befohlen, eine strahlende, goldene Sonne auf die andere Seite zu malen. Die Kutsche wurde von sechs Schimmeln gezogen. Als das Prachtstück auf den Hof der Herberge rumpelte, fiel mir die Verschwendung im Großen Palast ein und ich verdrehte die Augen. Vielleicht war schlechter Geschmack ja erblich.
    Ich hatte gehofft, mit Maljen in meinem Zimmer essen zu können, aber Nikolaj hatte auf einem gemeinsamen Essen aller in der Schankstube bestanden. Also ruhten wir uns nicht vor dem Feuer aus, sondern saßen dicht gedrängt zwischen unzähligen Offizieren an einem lauten Tisch. Maljen sprach während des ganzen Essens kein Wort, aber Nikolaj redete für drei.
    Während er sich über den geschmorten Ochsenschwanz hermachte, ratterte er unzählige Orte herunter, in denen er während der Reise nach Os Alta haltmachen wollte. Das Zuhören allein schaffte mich.
    »Mir war nicht klar, dass ich, um ›das Volk zu gewinnen‹, jeden einzelnen Untertanen kennenlernen muss«, murrte ich. »Wir sind doch in Eile, oder?«
    »Ganz Rawka muss erfahren, dass seine Sonnenkriegerin heimgekehrt ist.«
    »Und sein launischer Prinz?«
    »Der auch. Gerüchte sind wirksamer als Proklamationen des Zaren. Dabei fällt mir etwas ein«, sagte er und fuhr mit gesenkter Stimme fort: »Du solltest ab jetzt bedenken, dass du unter ständiger Beobachtung stehst.« Er schwenkte die Gabel zwischen Maljen und mir hin und her. »Was ihr privat tut, ist eure Sache. Aber seid bitte diskret.«
    Ich hätte mich fast am Wein verschluckt. »Was?«, quetschte ich hervor.
    »Du bist mit einem Prinzen von Zarengeblüt verbunden. Die Menschen sollten also besser nicht auf die Idee kommen, dass du mit einem Bauernlümmel tändelst.«
    »Aber das ist nicht – das geht niemanden etwas an!«, flüsterte ich wütend und ließ einen Blick zu Maljen zucken. Er hatte die Zähne zusammengebissen und schloss die Hand etwas zu fest um das Messer.
    »Macht bedarf einer breiten Basis«, sagte Nikolaj. »Sie geht alle etwas an.« Er ließ sich von meinem ungläubigen Blick nicht aus der Ruhe bringen und nippte am Wein. »Außerdem solltest du deine eigenen Farben tragen.«
    Ich schüttelte den Kopf, denn dieser Themenwechsel verwirrte mich. »Du schreibst mir vor, was ich anziehen soll?« Ich trug zwar die blaue Kefta, aber Nikolaj schien das nicht zu genügen.
    »Wenn du wirklich die Zweite Armee führen und an die Stelle des Dunklen treten

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