Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
willst, musst du dementsprechend aussehen.«
»Beschwörer tragen Blau«, erwiderte ich gereizt.
»Du solltest die Macht der großen Geste nicht unterschätzen, Alina. Das Volk liebt spektakuläre Auftritte. Der Dunkle hat das gewusst.«
»Ich denke darüber nach.«
»Darf ich Gold vorschlagen?«, fuhr Nikolaj fort. »Sehr herrschaftlich, sehr passend …«
»Sehr geschmacklos?«
»Am besten wären Gold und Schwarz. Das wäre von großer und treffender Symbolkraft und …«
»Kein Schwarz«, sagte Maljen, schob den Stuhl zurück und verschwand wortlos im überfüllten Raum.
Ich ließ die Gabel sinken. »Legst du es tatsächlich darauf an, Ärger zu machen, oder bist du nur ein Dummkopf?«
Der Prinz schob sich einen Happen in den Mund. »Mag er kein Schwarz?«
»Das ist die Farbe jenes Mannes, der ihn töten wollte und die dumme Angewohnheit hat, mich als Geisel zu nehmen. Mein Erzfeind!«
»Umso einleuchtender wäre es, wenn du seine Farbe für dich beanspruchst.«
Ich reckte den Hals und sah durch die Tür, wie Maljen sich an die Theke setzte.
»Nein«, sagte ich. »Kein Schwarz.«
»Wie du willst«, erwiderte Nikolaj. »Aber du musst Farben für dich und deine Wachen aussuchen.«
Ich seufzte. »Brauche ich denn wirklich Wachen?«
Nikolaj lehnte sich zurück und musterte mich. Seine Miene war plötzlich ernst. »Weißt du, warum man mich Sturmhond nennt?«
»Ich dachte, das wäre ein Scherz, ein Wortspiel mit Sobatschka .«
»Nein«, sagte er. »Den Namen habe ich mir verdient. Das erste feindliche Schiff, das ich geentert habe, war eine Kogge der Fjerdan aus Djerholm. Als ich dem Kapitän befahl, den Säbel niederzulegen, lachte er mir ins Gesicht und meinte, ich solle zu meiner Mama zurückkehren. Er sagte, die Fjerdan würden Brot aus den Knochen magerer Bübchen aus Rawka backen.«
»Hast du ihn getötet?«
»Nein. Ich habe ihm gesagt, dass Männer aus Rawka keinen Geschmack an dem Fleisch dummer, alter Kapitäne finden würden. Dann habe ich seine Finger abgeschnitten und vor seinen Augen an meine Hunde verfüttert.«
»Du hast … was?«
Der Raum voller unbändiger Soldaten, die sangen, brüllten und einander Anekdoten erzählten, verblasste, während ich Nikolaj wie vor den Kopf gestoßen anstarrte – er schien sich schon wieder verwandelt zu haben: Hinter der charmanten Maske war ein höchst gefährlicher Mann zum Vorschein gekommen.
»Du hast es gehört. Meine Feinde verstanden die Sprache der Gewalt. Und auch meine Besatzung. Hinterher trank ich mit meinen Männern und teilte die Beute auf. Danach ging ich in meine Kajüte, erbrach das erlesene Essen, das mein Diener zubereitet hatte, und weinte mich in den Schlaf. Doch an dem Tag wurde ich ein echter Freibeuter. Das war Sturmhonds Geburtsstunde.«
»So viel zu ›Welpe‹«, murmelte ich und verspürte einen Hauch von Übelkeit.
»Ich war ein junger Mann, der eine undisziplinierte, aus Dieben und Schurken bestehende Besatzung gegen ältere, erfahrenere, zähere Feinde ins Feld führen wollte. Ich musste also Furcht in ihnen wecken. In allen. Hätten sie mich nicht gefürchtet, dann wären noch mehr Menschen gestorben.«
Ich schob meinen Teller weg. »Willst du mir damit sagen, dass auch ich jemandem die Finger abschneiden soll?«
»Ich will damit Folgendes sagen: Wenn du wirklich führen willst, dann solltest du ab jetzt dementsprechend denken und handeln.«
»Das kenne ich schon. Das habe ich auch vom Dunklen und von dessen Unterstützern gehört. Sei brutal. Sei grausam. So rettest du langfristig viele Leben.«
»Glaubst du, ich bin wie der Dunkle?«
Ich betrachtete ihn – die goldblonden Haare, die schneidige Uniform, die etwas zu gerissen dreinschauenden braungrünen Augen.
»Nein«, sagte ich gedehnt. »Glaube ich nicht.« Ich stand auf, um zu Maljen zu gehen. »Aber ich habe mich schon einmal geirrt.«
Unsere Reise nach Os Alta ging langsam voran und glich eher einer zähen, zermürbenden Parade. In jeder Stadt am Vy hielten wir, in Schulen und Kirchen, bei Ackerbauern und Milchbauern. Wir empfingen örtliche Würdenträger und liefen durch Spitäler. Wir speisten mit Kriegsveteranen und applaudierten Mädchenchören.
Es war schwer zu übersehen, dass die Dörfer überwiegend von sehr jungen und sehr alten Menschen bevölkert waren. Jede wehrtaugliche Person war in die Armee des Zaren eingezogen worden, um in Rawkas endlos langen Kriegen zu kämpfen. Die Friedhöfe waren so groß wie die Städte.
Nikolaj
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