Grischa: Goldene Flammen
dich mir hingegeben hättest? Hast du ihm erzählt, was sich während des Festes zwischen uns abgespielt hat?«
Brennende Scham durchflutete mich und das Licht flackerte. Der Dunkle lachte.
Ich sah zu Maljen. Er biss die Zähne zusammen und strahlte die gleiche eisige Wut aus wie am Abend des Winterfestes. Mir entglitt die Kontrolle über das Licht und ich kämpfte dagegen an, versuchte mich auf meine Macht zu konzentrieren. Das Licht strahlte wieder auf, doch ich merkte, dass ich langsam an meine Grenzen stieÃ. Die Finsternis sickerte wie Tinte in das Licht.
Ich wusste, was zu tun war. Der Dunkle hatte Recht: Ich war nicht stark genug. Und dies war unsere letzte Chance.
»Tu es, Maljen«, flüsterte ich. »Du weiÃt, was geschehen muss.«   Â
Maljen starrte mich an. Panik flackerte in seinen Augen und er schüttelte den Kopf. Das Dunkel drängte gegen die Glocke an. Ich wankte.
»Schnell, Maljen! Bevor es zu spät ist.«
Maljen lieà blitzschnell den Bogen fallen und griff nach seinem Messer.
»Jetzt, Maljen! Tu es jetzt!«
Maljens Hand zitterte. Ich spürte, wie meine Kräfte schwanden. »Ich kann nicht«, flüsterte er niedergeschlagen. »Ich kann es nicht tun.« Er lieà das Messer lautlos in den Schnee fallen. Im nächsten Moment brach das Dunkel über uns herein.
Maljen verschwand. Die Lichtung verschwand. Erstickende Schwärze hüllte mich ein. Ich hörte, wie Maljen aufschrie, und wollte mich zu ihm tasten, aber dann wurde ich auf beiden Seiten von kräftigen Armen gepackt. Ich wand und wehrte mich wie wild.
Das Dunkel wich und ich sah, dass alles vorbei war.
Zwei Leibgardisten des Dunklen hielten mich fest und zwei versuchten Maljen zu bändigen.
»Wenn du nicht stillhältst, töte ich dich auf der Stelle«, knurrte Iwan.
»Lasst ihn!«, rief ich.
»Psssst.« Der Dunkle kam auf mich zu, einen Finger auf den Lippen, die er zu einem spöttischen Lächeln verzogen hatte. »Wenn er nicht endlich Ruhe gibt, werde ich Iwan befehlen, ihn zu töten. Und zwar ganz langsam.«
Tränen liefen über meine Wangen und gefroren in der kalten Abendluft.
»Fackeln«, sagte der Dunkle. Ich hörte, wie Feuersteine aneinandergeschlagen wurden. Zwei Fackeln flammten auf und erhellten die Lichtung mit den Soldaten und dem am Boden liegenden, rasselnd atmenden Hirsch. Der Dunkle zog ein langes Messer aus dem Gürtel. Grischa-Stahl glänzte im Feuerschein. »Wir haben genug Zeit vergeudet.«
Er ging zum Hirsch und schnitt ihm, ohne zu zögern, die Kehle durch.
Blut sprudelte in den Schnee und bildete vor dem Bauch des Hirsches eine Pfütze. Ich sah, wie das Leben aus seinen dunklen Augen wich, und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken.
»Das Geweih!«, befahl der Dunkle einem Opritschnik. »Ein Stück von jeder Seite.«
Der Opritschnik zückte ein Messer mit gezackter Klinge und beugte sich über den Hirsch.
Ich wandte mich ab. Mir drehte sich der Magen um, als die stille Lichtung von einem Sägegeräusch erfüllt wurde. Wir standen wortlos da und unser Atem wölkte in der eisigen Luft, während der Mann unaufhörlich weitersägte. Meine zusammengebissenen Zähne vibrierten noch, nachdem er endlich aufgehört hatte.
Der Opritschnik ging über die Lichtung zum Dunklen und gab ihm die Geweihteile. Beide liefen in zwei Enden aus und waren nahezu identisch. Der Dunkle hielt jedes Teil in einer Hand und strich mit den Daumen über die raue, silbrige Oberfläche. Dann winkte er jemanden zu sich und zu meiner Ãberraschung trat David in seiner purpurnen Kefta aus den Schatten.
Natürlich. Der Dunkle hatte den besten Fabrikator für die Herstellung des Halsreifs ausgewählt. David vermied es, mir in die Augen zu schauen. Ob Genja wusste, wo er war und was er tat? Vielleicht war sie stolz auf ihn. Vielleicht hielt sie mich jetzt auch für eine Verräterin.
»David«, sagte ich leise, »tu das nicht.«
David sah zu mir, wandte den Blick aber gleich wieder ab.
»David weià genau, was die Zukunft verlangt«, sagte der Dunkle mit drohendem Unterton. »Und er ist nicht so dumm, sich ihr in den Weg zu stellen.«
David trat an meine rechte Seite. Der Dunkle musterte mich im Fackelschein. Kurz herrschte Stille. Die Dämmerung war einer mondhellen Nacht gewichen. Die ganze Lichtung schien angespannt
Weitere Kostenlose Bücher