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Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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in der Luft, eisig und unabänderlich. Bei der Jagd auf den Hirsch waren mindestens sieben Männer ums Leben gekommen. Noch während ich dies dachte, kam mir ein verstörender Gedanke: Wie viele Leben konnten durch die Macht des Hirsches gerettet werden? Maljen und ich waren Flüchtlinge, geboren während der Kriege, die seit Generationen die Grenzgebiete Rawkas verheerten. Was, wenn der Dunkle diesem Krieg mit Hilfe der unheimlichen Macht der Schattenflur ein Ende setzte? Was, wenn er die Feinde Rawkas für immer besiegte, uns für immer Sicherheit schaffte?
    Nicht nur die Feinde Rawkas, rief ich mir in Erinnerung, sondern alle, die sich gegen ihn erheben, die es wagen, ihm entgegenzutreten. Bevor der Dunkle auch nur ein klein wenig Macht abgab, würde er die Welt in Schutt und Asche legen.
    Maljen rieb sein müdes Gesicht. »Es war sowieso für die Katz. Denn beim nächsten Wetterumschwung ist die Herde nach Rawka zurückgekehrt. Wir hätten ebenso gut auf unserer Seite der Grenze auf den Hirsch warten können.«
    Ich betrachtete Maljen, der mit in die Ferne gerichtetem Blick dasaß, die Lippen fest zusammengekniffen. Nichts an ihm erinnerte an den Jungen, den ich früher gekannt hatte. Er hatte versucht, mir durch die Jagd auf den Hirsch zu helfen. Deshalb war ich wenigstens zum Teil für die Veränderung verantwortlich, die mit ihm vorgegangen war. Es brach mir das Herz.
    Â»Es tut mir leid, Maljen. So leid.«
    Â»Du hast damit nichts zu tun, Alina. Die Verantwortung für meine Entscheidungen trage ich allein. Leider haben sie den Tod meiner Freunde zur Folge gehabt.«
    Ich hätte ihn gern in die Arme genommen und fest an mich gedrückt, aber er hatte sich zu stark verändert. Vielleicht wäre es mir selbst dann unmöglich gewesen, wenn er noch der Alte gewesen wäre. Wir waren keine Kinder mehr. Die unbeschwerte Nähe war Vergangenheit. Also legte ich ihm nur eine Hand auf den Arm.
    Â»Wenn ich keine Schuld daran trage, Maljen, dann gilt das auch für dich. Michail und Dubrow haben aus eigenem Willen gehandelt. Michail wollte sich als treuer Freund erweisen. Und vielleicht hatte er seine Gründe für die Entscheidung. Er war kein unmündiges Kind und es würde ihm bestimmt nicht gefallen, als ein solches in Erinnerung zu bleiben.«
    Maljen sah mich nicht an, aber nach einer Weile legte er eine Hand auf die meine. So blieben wir sitzen, bis die ersten Schneeflocken fielen.

Die Felsen schützten uns vor dem Wind. Wenn ich einschlief, stieß Maljen mich an, damit ich uns in den finsteren Weiten von Tsibeja durch die Kraft der Sonne unter den Fellen wärmte.
    Am nächsten Morgen schien die Sonne auf eine weiße Welt. Hier oben im Norden war es nicht ungewöhnlich, dass noch im Frühling Schnee fiel, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass dieses Wetter eine Fortsetzung unserer Pechsträhne war. Maljen warf einen Blick auf die jungfräuliche weiße Weite des Plateaus und schüttelte angewidert den Kopf. Ich wusste, was er dachte. Wenn die Herde in der Nähe gewesen war, hatte der Schnee ihre Fährten verdeckt. Wir dagegen würden mit Sicherheit verräterische Spuren hinterlassen.
    Wortlos schüttelte er die Felle aus und packte sie ein. Er band den Bogen auf den Rucksack und dann brachen wir auf. Der Weg über die Ebene war mühsam. Maljen versuchte unsere Spuren möglichst gut zu verwischen, aber es war klar, dass uns große Gefahr drohte. Sicher machte er sich Vorwürfe, weil er den Hirsch nicht aufgespürt hatte, aber wie sollte ich sie ihm ausreden?
    An diesem Morgen kam mir Tsibeja noch riesiger vor. Oder fühlte ich mich einfach kleiner? Das Plateau lief in kleinen, aus Silberbirken und Tannen bestehenden Wäldern aus. Dort waren die Zweige dick von Schnee bedeckt. Maljen verlangsamte das Tempo. Er wirkte erschöpft und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Einem Impuls folgend, ergriff ich seine Hand. Ich hatte erwartet, dass er zurückzucken würde, aber er ließ nicht los. So wanderten wir weiter, Hand in Hand. Der Nachmittag neigte sich dem Ende entgegen, während wir immer tiefer in das dunkle Herz des Waldes vordrangen. Hoch über uns verwoben sich die Tannenzweige zu einem Baldachin.
    Bei Sonnenuntergang erreichten wir eine kleine Lichtung, auf der sich schwere, makellos geformte Schneewehen gebildet hatten, die im Abendlicht glitzerten. Wir traten in die Stille,

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