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Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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barbarisch sei und den Bauern nur als Vorwand diene, Kwass zu trinken und sich unzüchtigem Tun hinzugeben. Aber wie sich zeigte, war die alte Ana in diesem Punkt etwas hochnäsig gewesen.
    Ich saß im Dampf, bis ich die Hitze nicht mehr aushielt, und rannte mit den anderen kreischend in den Schnee. Danach ging es wieder hinein und alles begann von vorn. Ich blieb bis weit nach Mitternacht, lachte, japste und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen.
    Sobald ich in mein Zimmer getaumelt war, fiel ich auf das Bett. Meine Haut war noch rosig und feucht, meine nassen Haare waren wirr und mir schwirrte der Kopf. Mir war heiß und ich fühlte mich wie eine Schlenkerpuppe. Ich konzentrierte mich und rief eine Welle warmen Sonnenlichts auf, die ich unter der bemalten Decke tanzen ließ. Ich hoffte, dass mich das stille Strömen der Macht beruhigen würde, aber ich wurde immer wieder von der Erinnerung an den Kuss des Dunklen eingeholt. Sie brachte meine Konzentration ins Wanken, zerstreute meine Gedanken und ließ mein Herz flattern wie einen Vogel, der auf unberechenbaren Luftströmungen dahinglitt.    
    Das Licht erlosch und Finsternis hüllte mich ein.

Gegen Ende des Winters drehten sich die Gespräche immer öfter um das von Zar und Zarin im Großen Palast angesetzte Fest. Von den Grischa-Beschwörern wurde erwartet, dass sie zur Unterhaltung von Adel und Würdenträgern eine Kostprobe ihrer Kunst gaben, und es wurde viel darüber diskutiert, wer auftreten würde und welche Fähigkeiten am beeindruckendsten wären.
    Â»Nenn es bloß nicht ›Auftritt‹«, warnte Genja. »Das mag der Dunkle überhaupt nicht. In seinen Augen ist das Winterfest ohnehin eine gewaltige Zeitverschwendung für die Grischa.«
    Das fand ich auch. In den Werkstätten der Materialki wurde vom frühen Morgen bis spät in die Nacht an der Herstellung der vom Palast bestellten Stoffe, Gemmen und Feuerwerkskörper gearbeitet. Die Beschwörer planten in den Pavillons stundenlang ihren »Auftritt«. Wenn man bedachte, dass Rawka seit über hundert Jahren Krieg führte, wirkte dieser Aufwand fast frivol. Andererseits hatte ich bisher nur selten an Festen teilgenommen und konnte der Verlockung, über Seide, Tänze und Blumenschmuck zu plaudern, nur schwer widerstehen.
    Baghra hatte wie üblich keine Geduld mit mir. Wenn meine Konzentration auch nur kurz ins Wanken kam, schlug sie mich mit dem Stock und sagte: »Träumst du etwa von einem Tänzchen mit deinem dunklen Prinzen?«
    Ich ging nicht darauf ein, aber sie lag nicht falsch, denn ich musste gegen meinen Willen oft an den Dunklen denken. Er war wieder abgereist, laut Genja in den Norden. Die anderen Grischa rechneten damit, dass er am Winterfest teilnehmen würde, aber niemand wusste es mit Sicherheit. Ich stand mehrmals kurz davor, Genja von dem Kuss zu erzählen, schluckte die Worte aber immer im letzten Moment hinunter.
    Mach dich nicht lächerlich, rügte ich mich selbst. Das hatte keine Bedeutung. Er küsste sicher viele junge Grischa. Und warum sollte sich der Dunkle angesichts von Schönheiten wie Genja oder Zoja ausgerechnet für mich interessieren? Aber insgeheim wollte ich das nicht wahrhaben, selbst wenn es tatsächlich der Wahrheit entsprach. Solange ich nichts davon erzählte, blieb der Kuss unser gemeinsames Geheimnis, und so sollte es auch bleiben. An manchen Tagen musste ich mich allerdings mühsam zusammenreißen, um während des Frühstücks nicht aufzustehen und zu rufen: »Der Dunkle hat mich geküsst!«
    Baghras Erwartungen hatte ich enttäuscht, aber das war nichts im Vergleich zu der Enttäuschung, die ich für mich selbst darstellte. Ich gab mir größte Mühe, stieß aber immer wieder an meine Grenzen. Nach jeder Stunde hatte ich die Worte des Dunklen im Ohr: »Das reicht noch nicht«, und ich wusste, dass er Recht hatte. Er wollte die Schattenflur bis auf den allerletzten Rest vernichten, die schwarzen Fluten der Ödsee auslöschen, aber dieser Aufgabe war ich nicht gewachsen. Ich hatte inzwischen genug gelesen, um zu wissen, dass dies ganz natürlich war: Die Macht eines jeden Grischa war begrenzt, sogar die des Dunklen. Er hatte behauptet, dass ich die Welt verändern würde, und das Eingeständnis, dass ich nicht die Kraft dazu hatte, fiel mir außerordentlich schwer.
    Der Dunkle war verschwunden, aber

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