Grischa: Goldene Flammen
bei Sonnenfinsternis, das Zeichen des Dunklen.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Diesmal hatte der Dunkle beschlossen, mich aus der Menge herauszuheben, und ich konnte nichts dagegen tun. Das ärgerte mich, aber am Ende überwog meine Aufregung. Hatte er diese Farbe vor oder nach dem Abend am See für mich ausgewählt? Würde er es bereuen, wenn er mich heute darin sah?
Aber diese Gedanken waren müÃig. Wenn ich nicht nackt zum Ball gehen wollte, hatte ich keine Wahl. Ich trat hinter den Wandschirm und schlüpfte in die neue Kefta. Die Seide schmiegte sich kühl an meine Haut, während ich mich mit den Knöpfen abmühte. Als ich wieder zum Vorschein kam, musste Genja breit grinsen.
»Aah! Ich wusste doch, dass Schwarz dir ausgezeichnet steht.« Sie ergriff mich beim Arm. »Los, komm!«
»Ich habe noch keine Schuhe an.«
»Komm einfach mit.«
Sie zerrte mich durch den Flur und stieà dann eine Tür auf, ohne vorher anzuklopfen.
Zoja schrie auf. Sie stand in einer dunkelblauen Kefta mitten im Zimmer, eine Bürste in der Hand.
»Verzeihung!«, sagte Genja herrisch. »Aber wir brauchen dieses Zimmer. Befehl des Dunklen!«
Zojas schöne blaue Augen verengten sich drohend. »Wenn ihr euch einbildet â¦Â«, begann sie, aber da erblickte sie mich. Ihre Kinnlade klappte herunter und sie wurde käsebleich.
»Raus!«, befahl Genja.
Zoja klappte den Mund zu, verlieà jedoch zu meiner Verblüffung ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Genja knallte die Tür hinter ihr zu.
»Was soll das?«, fragte ich argwöhnisch.
»Ich finde es wichtig, dass du dich in einem ordentlichen Spiegel betrachtest, nicht in dieser winzigen Scherbe auf deiner Frisierkommode«, sagte sie. »Aber ich wollte vor allem die Miene sehen, die diese Ziege beim Anblick der Farbe des Dunklen zieht, die du jetzt trägst.«
Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Ja, das hat sich gelohnt.«
»Nicht wahr?«, erwiderte Genja verträumt.
Ich drehte mich zum Spiegel um, aber Genja packte mich und drückte mich auf den Stuhl vor Zojas Frisierkommode. Dann durchwühlte sie die Schubladen.
»Genja!«
»Warte kurz ⦠Aha! Ich wusste doch, dass sie Wimperntusche benutzt!« Genja holte ein Töpfchen mit schwarzem Antimon aus Zojas Schublade. »Könntest du für ein bisschen Licht sorgen, damit ich besser arbeiten kann?«
Ich rief ein warmes, freundliches Licht auf und versuchte, geduldig zu sein, während ich den Kopf auf ihr Geheià heben und senken, nach rechts und links drehen musste.
»Perfekt!«, sagte sie schlieÃlich. »Oh, Alina, jetzt siehst du wirklich zum AnbeiÃen aus.«
»Ach, ja?«, sagte ich und entriss ihr den Spiegel. Aber dann musste ich lächeln, denn das traurige, kränkliche Mädchen mit den hohlen Wangen und hängenden Schultern gab es nicht mehr. An ihrer Stelle saà da eine Grischa mit strahlenden Augen und glänzenden, bronzefarbenen Haaren, die sich über die Schultern wellten. Die schwarze Seide schmiegte sich an meine neue Gestalt, geschmeidig wie zusammengenähte Schatten. Und Genja hatte ein Wunder mit meinen Augen vollbracht, sie kamen mir dunkler und ausdrucksvoller vor.
»Schmuck!«, rief Genja und wir liefen zurück zu meinem Zimmer. Unterwegs kamen wir an der zähneknirschenden Zoja vorbei.
»Endlich fertig?«, fauchte sie.
»Vorerst«, erwiderte ich hochmütig und Genja schnaubte nicht sehr damenhaft.
Die anderen Kisten auf meinem Bett enthielten goldfarbene Seidenschuhe, glitzernde Ohrringe aus Gold und Jett sowie einen dicken Pelzmuff. Als ich fertig war, betrachtete ich mich im kleinen Spiegel. Ich kam mir so geheimnisvoll und exotisch vor, als würde ich die Kleider eines fremden, viel glamouröseren Mädchens tragen.
Als ich aufsah, merkte ich, dass Genja mich besorgt betrachtete.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte ich und kam plötzlich wieder zur Besinnung.
»Nein, nein«, sagte sie lächelnd. »Du siehst toll aus. Wirklich. Aber â¦Â« Ihr Lächeln verflog. Sie griff nach dem kleinen goldenen Talisman an meinem Ausschnitt.
»Der Dunkle übersieht die meisten von uns, Alina. Wir sind wie kurze Augenblicke, die er im Laufe seines langen Lebens vergisst. Und vielleicht ist das gut so. Du solltest dich ⦠in Acht nehmen.«
Ich starrte sie verblüfft an. »Und
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