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Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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Rücken?«
    Sie stand eine Weile stumm und kerzengerade im Schatten des Kleinen Palastes. Dann wandte sie mir das Gesicht zu und ich wich erschrocken zurück, denn ich erkannte ihn so deutlich, als würde ich an seinem Rand stehen: den Abgrund. Schwarz und unendlich tief – die endlose Leere eines Lebens, das schon viel zu lange währte.
    Â»Vor unzähligen Jahren«, sagte sie leise, »bevor er auch nur von einer Zweiten Armee träumte, bevor er seinen Namen änderte und der Dunkle wurde, war er nur ein hochintelligenter, begabter Junge. Ich förderte seinen Ehrgeiz. Ich nährte seinen Stolz. Und dann hätte ich ihn aufhalten müssen.« Sie lächelte, doch ihr Lächeln war so schmerzhaft traurig, dass ich den Anblick kaum ertrug. »Du glaubst vielleicht, dass ich meinen Sohn nicht liebe«, sagte sie. »Aber das stimmt nicht. Ich liebe ihn und genau deshalb will ich verhindern, dass er sich unauflöslich in das Böse verstrickt.«
    Sie warf einen Blick auf den Kleinen Palast hinter uns. »Morgen stelle ich einen Diener vor deine Tür und verbreite, du seiest krank. Ich werde dir möglichst viel Zeit erkaufen.«
    Ich biss auf meine Unterlippe. »Noch heute Nacht. Du musst noch heute Nacht einen Diener zu meinem Zimmer schicken. Der Dunkle will … vielleicht will er mich besuchen.«
    Ich erwartete, dass Baghra mich auslachen würde, aber sie schüttelte nur den Kopf und sagte milde: »Dummes Ding.« Ihre Verachtung hätte ich besser ertragen.
    Als ich das Palastgelände betrachtete, fragte ich mich, was mir bevorstand. Wollte ich dies wirklich tun? Ich kämpfte gegen die Panik an, die in mir aufstieg. »Danke, Baghra«, stieß ich hervor. »Für alles.«
    Â»Pah«, erwiderte sie nur. »Geh jetzt, Mädchen. Beeile dich und sei vorsichtig.«
    Ich wandte mich ab und lief los.
    Durch die endlos vielen Dauerläufe bei Botkin kannte ich das Gelände wie meine Westentasche. Während ich über die weiten Rasenflächen und durch die Gehölze rannte, war ich ihm dankbar für jede schweißtreibende Übungsstunde. Baghra sorgte dafür, dass mich ein dünnes Gespinst aus Dunkel umhüllte, als ich mich der Rückseite des Großen Palastes näherte. Tanzten Marie und Nadja noch? Fragte Genja sich, wohin ich verschwunden war? Ich verdrängte diese Gedanken. Ich hatte Angst, zu viel über das nachzudenken, was ich tat, über alles, was ich hinter mir ließ.
    Eine Theatertruppe belud einen Wagen mit Requisiten und Kostümen. Der Kutscher griff schon nach den Zügeln und brüllte, man solle sich beeilen. Ein Schauspieler setzte sich neben ihn auf den Bock und die anderen drängten sich in eine kleine Ponykutsche, die mit bimmelnden Glöckchen losfuhr. Ich sprang hinten auf den Wagen, schlängelte mich zwischen Kulissenteilen durch und deckte mich mit einem Jutevorhang zu.
    Während wir über den langen Kiesweg zu den Palasttoren rumpelten, hielt ich den Atem an. Ich war überzeugt, dass es jeden Moment Alarm geben würde und wir anhalten müssten. Man würde mich wie eine Verbrecherin vom Wagen zerren. Aber der Wagen wurde nur kurz langsamer, fuhr dann ruckartig an und wir holperten über das Kopfsteinpflaster von Os Alta.
    Ich versuchte den Weg zu rekonstruieren, auf dem ich vor Monaten in Begleitung des Dunklen nach Os Alta gekommen war, aber damals war ich so müde und verwirrt gewesen, dass meine Erinnerungen nur aus vagen Bildern von nebeligen Straßen und Herrenhäusern bestanden. Von meinem Versteck aus konnte ich nichts sehen und wagte auch nicht, einen Blick zu riskieren, denn bei meinem Glück kam sicher gerade jemand vorbei und erkannte mich.
    Ich konnte nur hoffen, möglichst weit weg vom Palast zu sein, bevor mein Verschwinden bemerkt wurde. Ich wusste nicht, wie viel Zeit Baghra schinden konnte, und flehte den Kutscher insgeheim an, sich zu sputen. Nachdem wir die Brücke überquert hatten und in das Marktstädtchen einfuhren, erlaubte ich mir einen leisen Seufzer der Erleichterung.
    Kalte Luft drang durch die Bodenbretter des Wagens und ich war froh über den dicken Mantel, den Baghra mir gegeben hatte. Ich war müde und ich saß unbequem, aber vor allem hatte ich Angst, denn ich floh vor dem mächtigsten Mann Rawkas. Er würde mir seine Grischa und die Erste Armee, vielleicht sogar Maljen und dessen Fährtenleser auf den Hals

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