Grisham, John
sein dürfen, sich für einen davon zu
entscheiden. Kyle schränkte seine Auswahl weiter ein, führte zusätzliche
Recherchen durch, fügte Namen hinzu und löschte andere. Dieses geheime Projekt
hatte er kurz nach seiner Ankunft in New York begonnen und mehrfach
abgebrochen. Er wusste nicht so recht, ob er wirklich einen Anwalt engagieren
würde, aber zumindest wollte er für den Fall der Fälle wissen, wer gut war. Der
Mord an Baxter veränderte alles. Nun wollte Kyle nicht mehr nur Schutz, er
wollte Gerechtigkeit.
Roy Benedict war Strafverteidiger bei einer Kanzlei mit zweihundert
Angestellten, die ihre Räumlichkeiten im nächsten Häuserblock östlich von
Scully & Pershing hatte. Da Kyle ständig unter Beobachtung stand, spielte
der Standort eine wesentliche Rolle. Benedict entsprach auch in anderen
wichtigen Bereichen seinen Vorstellungen. Bevor er an der New York University
Jura studiert hatte, hatte er für das FBI gearbeitet, und nach dem Examen war
er sechs Jahre lang im Justizministerium beschäftigt gewesen. Er hatte
Kontakte, alte Freunde, Menschen, die jetzt auf der anderen Seite des Zaunes
standen, denen er aber nach wie vor vertrauen konnte. Strafrecht war sein
Spezialgebiet. Er zählte zu den einhundert besten Strafverteidigern für Wirtschaftskriminalität
in New York, aber nicht zu den zehn besten. Kyle brauchte fundierte Beratung,
doch er konnte sich keinen Star leisten. Benedicts Kanzlei trat bei Verfahren,
an denen Scully & Pershing beteiligt war, häufig als Vertreter der gegnerischen
Partei auf. Das Sahnehäubchen war die Tatsache, dass Benedict vor
fünfundzwanzig Jahren an der Duquesne University Basketball gespielt hatte. Am
Telefon war er kurz angebunden und wollte eigentlich keine neuen Mandanten mehr
annehmen, aber die Basketball-Verbindung öffnete Kyle Tür und Tor.
Sein Termin war Montag, vierzehn Uhr, doch Kyle war früh dran. Unwillkürlich
verglich er die Räumlichkeiten mit denen seiner Kanzlei. Die Büros waren
kleiner und weniger darauf ausgerichtet, mit abstrakter Kunst und
Designermöbeln Eindruck zu schinden. Die Empfangsdamen waren auch nicht so
hübsch wie bei Scully & Pershing.
In seiner Aktentasche hatte er eine Mappe mit Unterlagen über Roy Benedict -
alte Berichte und Fotos aus dessen Zeit an der Duquesne University, Biografien
aus Anwaltsverzeichnissen, Zeitungsartikel über zwei seiner bekannteren Fälle.
Er war siebenundvierzig, eins achtundneunzig groß und schien so fit zu sein,
dass er jedes Auswahlspiel bestanden hätte. Sein Büro sah aus, als hätte er
viel zu tun, und war kleiner als das der meisten Partner bei Scully, aber
ansprechend eingerichtet. Benedict war herzlich und freute sich aufrichtig,
einen anderen New Yorker Anwalt kennenzulernen, der für die Dukes gespielt
hatte.
Kyle erklärte, dass er keine große Spielerkarriere hinter sich habe. Das
Gespräch zog sich in die Länge, bis Kyle zur Sache kam. "Hören Sie, Mr
Benedict ... "
"Nennen
Sie mich Roy."
"Okay,
Roy, ich kann mich nur begrenzte Zeit hier aufhalten, weil ich beschattet
werde."
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Benedict das verdaut hatte. " Und wieso
wird ein Anwalt in seinem ersten Jahr bei der größten Kanzlei der Welt
beschattet?"
"Ich
habe Probleme. Die Sache ist kompliziert, und ich glaube, ich brauche einen
Anwalt."
"Ich
befasse mich ausschließlich mit Wirtschaftskriminalität, Kyle. Haben Sie sich
auf dem Gebiet etwas zuschulden kommen lassen?"
"Noch
nicht. Aber ich werde unter Druck gesetzt und soll eine ganze Reihe von
Straftaten begehen."
Benedict trommelte mit seinem Stift auf die Schreibtischplatte und überlegte,
wie er am besten vorging.
"Ich
brauche wirklich dringend einen Anwalt", sagte Kyle. "Normalerweise
verlange ich einen Honorarvorschuss von fünfzigtausend, bevor ich überhaupt
anfange." Benedict behielt Kyle genau im Auge, um zu sehen, wie er
reagierte. Er wusste bis auf zehntausend Dollar genau, wie viel Kyle im ersten
Jahr verdiente. Seine Kanzlei versuchte nicht, mit Scully & Pershing zu
konkurrieren, zahlte aber nicht viel schlechter.
"Das
kann ich nicht auf einmal aufbringen. Ich habe fünftausend in bar." Kyle
riss einen Umschlag aus seiner Tasche und warf ihn auf den Tisch. "Wenn
Sie mir genügend Zeit geben, besorge ich den Rest."
"Worum
geht es bei dieser Sache?"
"Vergewaltigung,
Mord, Diebstahl, Abhöraktionen, Nötigung, Erpressung und noch ein paar andere
Dinge. Solange wir uns nicht einig sind, kann ich keine
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