Grisham, John
kann, bis ich
mit fünfzig tot umfalle. Das ist mein Ziel."
"Sieh
dich doch um, Kyle. Die wenigsten bleiben länger als drei Jahre. Die Klügeren
sind nach zwei Jahren weg. Nur die Verrückten machen diesen Beruf zu ihrem
Leben."
"Du
gehst also?"
"Ich
bin dem nicht gewachsen. Ich dachte, ich wäre hart im Nehmen, aber mir
reicht's."
Der Kellner nahm ihre Bestellungen auf und schenkte Wein nach. Sie saßen
nebeneinander an einem schmalen Tisch mit einer Trennwand im Rücken und hatten
das Restaurant im Blick. Kyles Hand lag unter dem Tisch auf ihrem Knie.
"Wann
hörst du auf?", fragte er.
"So
bald wie irgend möglich. Heute Vormittag habe ich geradezu um diesen Job
gebettelt. Wenn mir die Kanzlei kein Angebot macht, gehe ich weiter Klinken
putzen. Das hier ist Wahnsinn, Kyle, und ich will raus."
"Herzlichen
Glückwunsch. Deine Leidensgenossen werden dich beneiden."
"Was
ist mit dir?"
"Ich
hab keine Ahnung. Es kommt mir vor, als hätte ich gerade erst angefangen. Wir
stehen alle noch unter Schock, aber das gibt sich irgendwann. Das ist sozusagen
die Grundausbildung, bei der wir uns die ersten blauen Flecke holen."
"Ich
hab mir genug blaue Flecke geholt. Ich bin sogar zusammengebrochen. So was
passiert mir nicht noch mal. Ich werde die Zügel schleifenlassen und auf
fünfzig Stunden pro Woche reduzieren. Soll sich bloß einer beschweren!"
"Braves
Mädchen!"
Der Kellner servierte eine Platte mit Ziegenkäse und Oliven, mit denen sie herumspielten.
"Wie
war York?", fragte sie.
"Wie
immer. Mittagessen mit meiner Mutter und Abendessen mit meiner künftigen
Stiefmutter, eine kurze Hirschjagd, bei der kein Hirsch zu Schaden gekommen
ist, und lange Gespräche mit meinem Vater."
"Worüber?"
"Das
Übliche. Das Leben. Die Vergangenheit. Die Zukunft."
Nigel
war zum zweiten Mal hintereinander dabei und hatte, lange bevor Kyle in der
Hotelsuite eintraf, Vorbereitungen getroffen. Auf einem kleinen Schreibtisch
hatte er einen Computer aufgebaut, der denen im siebzehnten Stock sehr ähnlich
sah. Daneben stand ein Monitor, der mit jenem identisch war, vor dem Kyle am
Vortag zwölf Stunden lang gesessen hatte.
"Wie
dicht sind wir dran?", flötete Nigel, während er stolz seine Kopie der
Workstation enthüllte. "Nehmen Sie doch Platz."
Unter den aufmerksamen Blicken von Bennie Wright und Nigel setzte sich Kyle an
den Schreibtisch.
"Kommt
ziemlich gut hin", stellte Kyle fest.
"Es
geht im Augenblick nur um die Hardware, das wissen Sie ja. Die ist nicht unbedingt
wesentlich, aber wir versuchen, Hinweise auf den Hersteller zu finden. Uns ist
natürlich klar, dass nur die Software zählt. Wie dicht sind wir dran?"
Weder Computer noch Monitor wiesen irgendwelche Kennzeichnungen, Namen,
Modellschriftzüge oder Herstellerangaben auf. Sie waren ebenso unauffällig und
durchschnittlich wie die Geräte, die sie imitieren sollten.
"Sehr
dicht", erwiderte Kyle.
"Sehen
Sie genau hin. Wo sind die Unterschiede?", drängte Nigel. Er stand neben
Kyle, hatte sich vorgebeugt und starrte auf den Bildschirm.
"Der
Computer ist etwas dunkler, fast grau, vierzig Zentimeter breit und
fünfundzwanzig Zentimeter hoch."
"Haben
Sie das gemessen?"
"Natürlich.
Mit meinem Schreibblock, der ist dreißig Zentimeter lang."
"Genial!",
entfuhr es Nigel, der Kyle offenbar am liebsten um den Hals gefallen wäre.
Wright konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
"Es
muss ein Fargo sein", stellte Nigel fest. "Ein was?"
"Fargo
ist eine Firma für Spezialcomputer mit Sitz in San Diego, die vor allem für
Regierung und Militär arbeitet, insbesondere für die CIA. Leistungsstarke,
robuste Rechner mit mehr Sicherheitsvorrichtungen und Funktionen, als Sie sich
vorstellen können. Die Dinger gibt es nicht im Einkaufszentrum um die Ecke.
Fargo gehört Deene, einer Mandantin von ja, Sie ahnen es bereits. Die Firma
zahlt Scully & Pershing tausend Dollar pro Stunde dafür, dass die Kanzlei
ihr den Rücken freihält."
Während Nigel vor sich hin plapperte, drückte er eine Taste auf dem Keyboard.
Auf dem Bildschirm erschien eine Seite, wie Kyle sie noch nie gesehen hatte.
Das hatte nichts mit Microsoft oder Apple zu tun.
"Und
jetzt erzählen Sie mir, wie die Anfangsseite aussieht. So ähnlich wie
hier?"
"Nein,
überhaupt nicht. Auf der Startseite gibt es ein Icon für das
Selbstlernprogramm, aber das ist alles - keine anderen Icons, Eingabezeilen,
Formatierungsoptionen, nichts außer dem Index für die Dokumente.
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