Grisham, John
das
es im Leben zu etwas gebracht hatte. Das durch Banken erwirtschaftete Vermögen
bestand nun seit drei Generationen und verlor beständig, wenn auch nicht
alarmierend, an Wert. Zum letzten Mal hatte Walter Tate seinen Neffen in einer
Anwaltskanzlei in Pittsburgh gesehen, nachdem er wieder einmal betrunken am
Steuer erwischt worden war.
Da seine vier Geschwister unfähig waren, auch nur die rudimentärsten
Entscheidungen im Leben zu treffen, hatte Walter Tate schon lange die Rolle des
Familienoberhauptes übernommen. Er beobachtete die Kapitalanlagen, traf sich
mit Anwälten, hielt die Presse in Schach, wenn es sein musste, und sprang,
obgleich ungern, ein, wenn eines der Kinder seiner Geschwister dringend einen
Karrierekick brauchte. Sein eigener Sohn war beim Drachenfliegen ums Leben
gekommen.
Er kam Baxter zum zweiten Mal hinsichtlich eines Entzuges zu Hilfe, und es
würde das letzte Mal sein. Vor zwei Jahren war er ebenfalls in Los Angeles
aufgetaucht; damals hatten sie den Jungen auf eine Ranch in Montana
verfrachtet, wo er nüchtern wurde, Reiten lernte, neue Freunde und neue
Hoffnung fand. Die Nüchternheit hielt gerade einmal zwei Wochen, nachdem Baxter
zu seinem idiotischen Job nach Hollywood zurückgekehrt war. Walters Limit waren
zwei Entzüge. Danach durfte sich Baxter seinetwegen gern umbringen.
Baxter war etwa neun Stunden lang für die Welt verloren gewesen, als ihn Onkel
Wally so heftig und lang am Bein schüttelte, dass er in die Realität
zurückfand. Der Anblick der drei Männer, die um ihn herumstanden, erschreckte
ihn. Er zuckte zurück, kroch eiligst ans andere Ende des Bettes, doch dann
erkannte er seinen Onkel. Sein Haar war dünner geworden und er hatte ein paar
Pfund zugelegt. Wie lange hatten sie sich nicht gesehen? Die Familie kam nie
zusammen, man gab sich im Gegenteil die größte Mühe, einander aus dem Weg zu
gehen.
Baxter
rieb sich die Augen, dann die Schläfen. Bohrende Kopfschmerzen setzten ein. Er
sah Onkel Wally an, dann die beiden Fremden. "Soso", sagte er.
"Wie geht's Tante Rochelle?" Rochelle war Walters erste Ehefrau gewesen,
aber die einzige, an die Baxter sich erinnerte. Als Kind hatte sie ihm Angst
eingejagt, und er würde ihr gegenüber immer Verachtung empfinden.
"Sie
ist letztes Jahr gestorben", sagte Walter Tate.
"Das
ist ja schrecklich. Was führt dich nach Los Angeles?" Er streifte die
Schuhe von den Füßen und schlang seine Arme um ein Kissen. Es war klar, worauf
das Ganze hinauslaufen würde.
"Wir
vier machen jetzt eine Reise, Baxter. Wir werden dich wieder in eine Klinik
einweisen lassen, wo du erst einmal ausnüchtern kannst, und dann werden wir
sehen, ob sie dich wieder hinbekommen."
"Dann
ist das also eine Intervention?"
"Ja."
"Toll.
So was passiert hier ständig. Ein Wunder, dass überhaupt jemals ein Film fertig
wird, bei den ganzen verdammten Interventionen hier in Hollywood. Irgendwer
will ständig irgendwen therapieren. Ich meine, du wirst es nicht glauben, aber
vor zwei Monaten war ich selbst an einer Intervention beteiligt. Als Mentor, so
haben die das genannt, aber ich denke, du kennst dich da aus. Kannst du dir das
vorstellen? Ich sitze in einem Hotel mit einer Gruppe von Leuten, die ich zum
Teil kenne, zum Teil nicht, und dann kommt der arme Jimmy rein, ein Bier in der
Hand, und wird aus heiterem Himmel überfallen. Sein Bruder setzt ihn auf einen
Stuhl, dann gehen wir im Raum herum und erzählen ihm, was für ein dreckiges
Stück Scheiße er ist. Hat ihn zum Weinen gebracht, aber schließlich weinen da
alle, stimmt's? Ich glaube, ich habe auch geweint. Ja, jetzt fällt es mir
wieder ein. Du hättest mich mal hören sollen, wie ich Jimmy über die schlimmen
Folgen von Wodka und Kokain aufgeklärt habe. Wenn er nicht so schrecklich
geweint hätte, hätte er's vielleicht sogar verstanden. Könnte ich ein Glas
Wasser haben? Wer sind die da überhaupt?"
"Sie
gehören zu mir", sagte Onkel Wally. "Das dachte ich mir."
Einer von Walters Begleitern reichte Baxter eine Flasche Wasser. Er leerte sie
in einem langen, geräuschvollen Zug, wobei ihm Wasser über das Kinn troff.
"Irgendwelche Schmerzpillen!", sagte er flehend. Sie reichten ihm ein
paar Tabletten und eine weitere Flasche Wasser. Als er fertig war, fragte er:
"Wohin gehen wir dieses Mal?"
"Nevada.
Es gibt eine Klinik in der Nähe von Reno, in den Bergen. Spektakuläre
Landschaft."
"Hoffentlich
nicht wieder so eine Ferienranch. Noch mal dreißig Tage auf einem Gaul
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