Grisham, John
Bibliothek - und den
konnte ihm nur sein Spion verschaffen.
Kapitel
20
Für weitere eintausend Dollar observierte die Detektei in Pittsburgh Elaine
Keenan lange genug, um feststellen zu können, wie ihr Tagesablauf aussah. In
der Regel ging sie über Mittag mit einigen Kolleginnen in einen Sandwichladen
in der Nähe des Gebäudes, in dem ihr Arbeitgeber, die Grünflächenverwaltung der
Stadt, seine Büros hatte.
Eine zufällige Begegnung musste glaubhaft wirken, und Joey konnte sich nicht
vorstellen, Elaine in der Lesbenbar zu treffen, die sie und ihre Mitbewohnerin
gelegentlich besuchten. Genau genommen konnte er sich überhaupt keine Begegnung
mit Elaine vorstellen. Abgesehen davon, dass sie vor fünfeinhalb Jahren ein
paar mal miteinander ins Bett gegangen waren, hatte er sie eigentlich kaum
gekannt. Sie war eines von mehreren Groupies im Umfeld von Beta gewesen, und er
hatte sich nach Kräften bemüht, alle zu vergessen.
Die Detektei schickte drei Farbfotos. Joey starrte sie stundenlang an und war
alles andere als überzeugt davon, das Mädchen auf den Fotos jemals getroffen zu
haben. Kyle dagegen sagte sofort, als er die Fotos sah, dass er sich gut an sie
erinnere.
Elaine war inzwischen dreiundzwanzig. Ihre dunklen Haare waren tiefrot gefärbt
und sehr kurz geschnitten. Kein Makeup, kein Lippenstift, nur zwei
zueinanderpassende Tätowierungen auf den Unterarmen. Falls sie den Wunsch
verspürte, attraktiv zu wirken, war nichts davon zu bemerken. Irgendwo hinter
der betont schlichten Fassade versteckte sich ein hübsches Mädchen, dem
Sexappeal unwichtig war.
Joey schluckte, verfluchte Kyle noch einmal und betrat den Sandwichladen. Er
schlich sich hinter Elaine, die in der Schlange vor der Theke wartete, und nach
ein paar Minuten, als die Schlange sich ein Stück weiterbewegte, gelang es ihm,
sie anzurempeln. "Entschuldigung", sagte er mit einem breiten,
gezwungenen Lächeln.
Sie erwiderte das Lächeln, sagte aber nichts. Joey trat einen Schritt auf sie
zu und sagte: "Du warst doch vor ein paar Jahren in Duquesne,
stimmt's?" Die bei den Kolleginnen Elaines warfen ihm einen kurzen Blick zu,
zeigten aber ansonsten kein Interesse.
"Ganz
kurz", sagte sie, während sie ihn aufmerksam musterte und nach etwas
Bekanntem in seinem Gesicht suchte.
Joey schnippte mit den Fingern, als würde er versuchen, sich an etwas zu
erinnern. "Elaine? Richtig? Deinen Nachnamen weiß ich nicht mehr."
"Stimmt.
Und wie heißt du?"
"Joey
Bernardo. Ich war bei Beta."
Ein Ausdruck des Entsetzens huschte über ihr Gesicht, und sie senkte den Blick.
Einen Moment lang war sie wie erstarrt und konnte nicht sprechen, gleich darauf
sah es so aus, als würde sie explodieren. Dann machte sie einen Schritt nach
vorn, um in der Schlange aufzuschließen. Sie drehte dem Mann, der sie
vergewaltigt hatte, den Rücken zu, dem Mann, der sich für dieses Verbrechen
nicht hatte verantworten müssen. Joey beobachtete sie aus den Augenwinkeln und
fühlte sich aus mehreren Gründen unwohl. Zum einen war ihr anzumerken, dass sie
Angst vor ihm hatte, doch da sie sich als Opfer und ihn als Vergewaltiger sah,
war das keine Überraschung. Außerdem war es ihm peinlich, jemandem so nah zu
sein, mit dem er früher einmal Sex gehabt hatte, egal wie unwichtig ihm das
Ganze inzwischen vorkam.
Elaine drehte sich halb zu ihm um und zischte: "Was machst du hier?"
"Ich
esse Mittag, genau wie du."
"Würdest
du bitte gehen?" Ihre Stimme war kaum zu hören, doch eine ihrer
Kolleginnen drehte sich um und warf Joey einen finsteren Blick zu.
"Nein.
Ich will mir doch nur was zum Essen holen." Während sie bestellten und zur
Ausgabe weitergingen, wurde nichts mehr gesagt. Elaine eilte zu einem Tisch und
aß mit ihren beiden Freundinnen. Joey setzte sich allein an einen kleinen Tisch
in der Nähe des Eingangs. Die Nachricht für Elaine hatte er schon geschrieben.
Auf dem Zettel stand: "Elaine, ich würde gern mit dir reden, über das, was
passiert ist. Bitte ruf mich an. Meine Handynummer: 412-866-0940. Ich bin bis
morgen früh um neun Uhr in Scranton. Joey Bernardo." Er brachte sein
Tablett zur Theke. Dann ging er an ihrem Tisch vorbei, gab ihr ohne ein Wort
den Zettel und verschwand.
Zwei
Stunden später rief sie an.
Um Punkt fünf Uhr, wie vereinbart, ging Joey wieder in den Sandwichladen.
Elaine saß am selben Tisch, doch anstelle ihrer Freundinnen war sie dieses Mal
in Begleitung ihrer Rechtsanwältin. Nach
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