Grisham, John
zwei Wochen Dutzende Lieferungen. Die Lagerhalle, der man
inzwischen den Spitznamen "Fort Rush" verpasst hatte, erwachte zum
Leben, während Tonne um Tonne Papier in weißen Kartons ordentlich aufgestapelt wurde
und darauf wartete, nach einem System organisiert zu werden, das nur die
Anwälte oben in New York verstanden.
Die Lagerhalle war von Scully & Pershing gemietet, die Verträge waren von
Wilson Rush unterschrieben worden - Verträge für die Renovierung, die
Sicherheitsmaßnahmen, den Transport der Dokumente, alles. Sobald die Dokumente
in der Lagerhalle waren, galten sie als Produkt der Arbeit eines Rechtsanwalts
und unterlagen daher ganz bestimmten Regeln, die festlegten, was die Gegenseite
zu sehen bekam und was nicht.
Mr Rush suchte sich zehn Anwälte aus seinem Prozessteam aus, die zu den
intelligentesten und vertrauenswürdigsten Mitarbeitern gehörten. Diese armen
Teufel wurden nach Wilmington gekarrt und in Fort Rush eingesperrt, einer
langen, fensterlosen Halle mit blanken Betonböden und einem durchdringenden
Geruch, der an einen Industriebetrieb denken ließ. In der Mitte der Halle stand
der Berg aus weißen Kartons. Zu beiden Seiten davon hatte man jeweils eine
Reihe leerer Klapptische aufgebaut, und hinter den Tischen standen zehn große,
grimmig aussehende Kopierer, deren Kabel und Leitungen sich in alle Richtungen
schlängelten. Die Kopierer waren selbstverständlich das Neueste, was es auf dem
Markt gab. Sie konnten scannen, sortieren und sogar heften.
Weit weg von ihren Büros erlaubte man den Anwälten, Jeans und Sportschuhe zu
tragen, außerdem versprach man ihnen höhere Bonuszahlungen und andere
Leistungsanreize. Doch selbst das war keine Entschädigung dafür, dass sie eine
Million Dokumente kopieren und einscannen sollten. Und das auch noch in
Wilmington! Die meisten der Anwälte waren verheiratet, und zu Hause warteten
Frau und Kind - allerdings hatten vier der zehn schon eine Scheidung hinter
sich. Und es war sehr wahrscheinlich, dass Fort Rush die Ursache weiterer
Eheprobleme sein würde.
Die trostlose Arbeit begann unter der Leitung von Mr Rush höchstpersönlich.
Jedes Dokument wurde innerhalb von Sekundenbruchteilen zweimal kopiert und
gleichzeitig in die virtuelle Bibliothek der Kanzlei eingescannt. In einigen
Wochen, wenn alles in elektronischer Form vorlag, würde diese Bibliothek nur
mit Hilfe eines geschützten Codes zugänglich sein. War ein Anwalt erst einmal
in der Bibliothek, konnte er ein bestimmtes Dokument innerhalb von Sekunden finden.
Die Computerexperten der Kanzlei waren gerade dabei, die virtuelle Bibliothek
zu entwickeln, und der festen Überzeugung, dass die Sicherheitsmaßnahmen nicht
zu knacken waren.
Um die Anwälte davon zu überzeugen, dass ihre scheinbar sinnlose Arbeit von
großer Bedeutung war, blieb Mr Rush ganze drei Tage und beteiligte sich sogar
am Auspacken, Sortieren, Einscannen, Kopieren und erneuten Verpacken der
Dokumente. Als er ging, ließ er zwei Partner aus der Prozessabteilung da, die
das Ganze beaufsichtigen sollten. Derart profane Arbeiten wurden normalerweise
an einen Kopierservice gegeben und vom übrigen Personal der Prozessabteilung
überwacht, doch bei diesen Dokumenten wäre das viel zu riskant gewesen. Die
Anwälte, die an den Kopierern standen, verdienten im Schnitt vierhunderttausend
Dollar im Jahr, und die meisten von ihnen hatten mindestens einen Abschluss von
einer Eliteuniversität. Zu keinem Zeitpunkt während ihres Studiums hatten sie
sich vorstellen können, Kopierer zu bedienen, doch nach vier oder fünf Jahren
bei Scully & Pershing waren sie auf alles gefasst.
Nach einer Woche wurde das Team ausgewechselt. Acht Tage in der Lagerhalle,
dann vier Tage New York, dann wieder Wilmington. Die Einsätze in Wilmington
wurden gestaffelt, so dass schließlich fünfzehn Anwälte für die Lagerhalle
abgestellt waren. Allen war es verboten, mit den Kollegen in New York über Fort
Rush zu sprechen. Sicherheit und Geheimhaltung hatten oberste Priorität.
Das erste Projekt dauerte sechs Wochen. 2,2 Millionen Dokumente wurden kopiert,
indexiert und in die virtuelle Bibliothek eingescannt. Die Anwälte wurden aus
Fort Rush entlassen und in einem Privatflugzeug nach New York zurückgeflogen.
Inzwischen wusste Bennie Wright, wo die Lagerhalle stand, und hatte eine ungefähre
Ahnung von den Sicherheitsmaßnahmen, doch das interessierte ihn nicht
sonderlich. Er wollte natürlich Zugang zu der virtuellen
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