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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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uralte Kultur, die von seinem Münster herunternickt, verbindet sich mit der neumodischen Eleganz seiner Bazar-Colonaden zu einem anregenden Bilde. Die Brücken – Kandelaber vergülden mit ihren Lichtern die Silberfurchen der rastlosen Schraubendampfer, welche das träge Alster-Bassin und die Elbe durchsägen. Der unentwirrbare Mastenwald mit den Flaggen aller Zonen am Quai ersetzt die Militärkasernen der Kaiserstadt: Hamburg, der drittgrößte Handelsort Europas, repräsentirt die deutsche Seemacht und sein hanseatisches Wappen erzwang sich Achtung, ehe die rothschwarzweiße Fahne des Deutschen Reichs nach China und Australien wehte.
    In der Nacht vor Abfahrt, ehe die Anker gelichtet wurden, genoß Rother eine hübsche Ueberraschung. Man riß ihn aus dem Schlaf und zwei übelaussehende Individuen brüllten ihn um »Paß und Legitimationspapiere« an. Da Rother bei der Schnelligkeit seiner Abreise an so etwas nicht hatte denken können, wäre er beinah dingfest gemacht worden. »Was, kein Militärpaß? Keine Heimathspapiere?« Vergeblich entschuldigte er sich, daß er das vergessen habe und nur eine kurze Spritztour nach dem perfiden Albion machen wolle.
    »Ach, Sie wollen wohl lieber gleich nach Amerika?« Zum Glück fanden sich in Rothers Notizbuch Visitenkarten und Briefe, die seine Identität feststellten, und sein verduseltes Wesen sowie die Constatirung seines Malerberufes beruhigte die Geheimpolizisten über seine völlige Ungefährlichkeit.
»A thoughtless fellow«
lachten sie draußen dem Steward zu.
    Die an Bord befindlichen Engländer betrachteten den Vorgang mit vergnügtem Blick: Ein freier Insulaner braucht nirgendwohin einen Paß. »Süß ist's, vom sichern Hafen« singt schon Lukrez. Rother aber fluchte in sich hinein und dachte: Jahr für Jahr wandern Hunderttausende nach Amerika, um sich der Tyrannei der dreijährigen Wehrpflicht zu entziehen. Erst wenn man am eigenen Fleisch den beengenden Druck unseres Polizei- und Militärstaates erfahren, begreift man so manche »unpatriotische Gesinnung.« Unglückliches Europa!
     
    Als Rother die Themse hinaufglitt und am Quai (Pier) vorm Greenwich Hospital die lustwandelnden Invaliden der englischen Marine mit den Mützen grüßen sah, beschlich ihn der Gedanke, daß er selbst ein Invalide des Lebens sei, kaum ehe er den Lebenskampf begonnen. Die Manie des Versemachens, an welcher er seit dem Prozeß Gräf, angesteckt durch die schmachtende Lyrik jenes betagten Künstlers, noch gefährlicher kränkelte, befiel ihn plötzlich und der Anfall ging erst vorüber, nachdem er folgendes Verslein in sein Notizbuch gekritzelt:
     
    Ich lebe von der Hand zum Mund,
    Zum Munde der Pistole –
    Ich seufze täglich, ob mich denn
    Noch nicht der Teufel hole.
     
    So friste ich mir langsam hin
    Ein seelensieches Dasein –
    Wird denn die wahre Behaglichkeit,
    Der Tod, nicht endlich nah sein?
     
    O träge Themse, wie so träg
    Der Mittag auf dir brütet!
    Das Schlößchen hier das Hospital
    Und dies den Pier behütet.
     
    Behüten muß ja dieser Pier
    Die invaliden Matrosen.
    Doch wer behütet mich denn hier,
    Den Schwachen, Heimathlosen?
     
    Der neuangekommene Fremdling stand plötzlich, die Stufen zum Tageslicht emporsteigend, auf der Station der unterirdischen Eisenbahn am Euston Square, einem Knotenpunkt des Metropolitan Traphic. Wie er so an dem Thorpfeiler der Station lehnte, die Reisetasche schwerfällig herunterhängend und mit blöden Augen das Gewühl des Marktes anstaunend, machte er in der That eine jämmerliche Figur. Er glich einem Kind, das zum ersten Mal in die Schule gebracht, den Daumen verlegen im Mund, vor dem Herrn Lehrer steht. Oder einem Hülfsvikar, der, in eine fashionable Gesellschaft versetzt, mit unbehülflichen Kratzfüßen die Bäuche der rückwärts Stehenden bedroht. Oder einem Zaghaften der am Schwimmseil zappelt – kurz, er fühlte sich so wenig gemüthlich, daß Vorübereilende ihn angrinsten. Ein freundlicher feinaussehender Herr fragte ihn zwar sehr höflich und zutraulich, wohin er wolle, was ihn fehle, ob er ihm, als einem Fremden behülflich sein solle – aber Rother war doch nicht grün genug, um das deutliche »Hem, Hem!« und Augenwinken eines zufällig in der Nähe befindlichen Herrn und das noch deutlichere »
Take care, Sir!
« eines Zweiten mißzuverstehen – so machte er sich sehr brüsque von dem liebenswürdigen Fremdenführer los und steuerte aufs Gradewohl in den Strudel hinein.
    Euston Road mit seiner Fortsetzung

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