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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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keinen Policeman traf. Alles öde, öde. Ein freundlicher Mann brachte ihn auf den Weg, fing aber unterwegs an, von seiner versetzten Uhr zu reden, die nebenan im Pfandhause liege; er selbst müsse sofort nach Victoria Station, weil seine Mutter irgendwo auf den Tod läge. Ob Rother ihm nicht 2 Sovereigns vorschießen wolle. Dieser war eine einfache Natur, aber keineswegs thöricht. So erwiderte er denn:
»My dear, that's the regular old trick!«
und schritt eilig auf einen an der Straßenecke auftauchenden Policeman zu, dessen Nähe den Uhr-Verpfänder zu panischem Rückzug bewog.
    Nachdem er am Themse-Durchbruch der Strand-Straße dem Lyceum Theater gegenüber auf die Stromseite hinausgelangt, bummelte er wieder nordwärts nach Holborn hinauf. Es war naßkalt, Bier- und Fischgeruch duftete aus den abgelegenen Tavernen. Als Rother in einem Austernladen eine ganze Flasche Port (fast 8 Gläser) hinuntergespült, sah er Alles in Portwein-rosigem Lichte. Durfte es ihn daher Wunder nehmen, daß er am Morgen beim Aufstehen das Portemounnaie in seiner Hose vermißte, nebst einem Theil seiner Baarschaft! Träumte ihm oder hatte eine Priesterin der Venus Vulgivaga sich nicht lebhaft nach seinen »Träumen« erkundigt und unter zärtlichem »
Darling! Chérie!
« ihn eine halbe Stunde lang begleitet bis vor seine Hausthür?
    Er glaubte die Börse vielleicht in einem Omnibus verloren zu haben und suchte daher einige Omnibus-Endpunkte auf, um nach dem »ehrlichen Finder« zu forschen. Die würdigen Kondukteure und Kutscher rauchten jedoch dem Hülflosen nur seine Cigarren auf, um welche sie ihn zartfühlend anbettelten, weil »die Gentlemen aus Hamburg so guten Tabak hätten« und lachten ihn hinterher aus. Als Einer sich sogar zu »
practical jokes
« verstieg und ihm auf den Rücken klopfte, daß ihm alle Gebeine schlotterten, empfahl sich Rother unwirsch und hörte hinter sich das lachende Urtheil: »Ganz grün. Kennt nicht die Welt.«
    Doch am nächsten Tage überwand er all seine Schwäche und machte sich nun wirklich gen Pimlico, South Belgravia, auf, wo Krastinik wohnen sollte.
    Ein gelbgrauer braustiger Nebel lastete über den zahllosen rothen Schornsteinen, die wie zackige Drachenkämme aus dem Meere Londons auftauchen. Rother fragte einen Arbeiter nach dem Weg, der an dem Eisengitter eines Hauses lehnend seine Thonpfeife schmauchte. »Ah, ein Foreigner?« machte dieser mit geringschätzigem Schmunzeln und setzte ihm in herablassendem Ton auseinander, wohin er sich zu richten habe.
    Er fand das Haus, die Nummer.
     

II.
     
    Krastinik hatte sich fast ganz von der Welt zurückgezogen. Zu Weihnachten verbrachte er ein paar Wochen bei einem Verwandten Dorringtons auf dem Lande, um den üblichen Plumpuding und Puter in altenglischer Weise zu genießen. Aber selbst die Jagd behagte ihm nicht mehr. Alles Weltliche langweilte ihn. Eine ungeheure Revolution durchtobte alle Fibern seines Innern, gestaltete ihn um, stellte seine ganze frühere Weltanschauung auf den Kopf. Jener namenlose Ekel vor allem Aeußerlichen ergriff ihn, der so oft den Idealisten wie eine Art Mieselsucht befällt. Eine verzehrende Sehnsucht, dem Idealen nachzustreben, im Reich des Geistes sich heimisch zu machen, durchfieberte sein ganzes Denken. »Ich bin ein Dichter!« dies Hochgefühl wurde ihm an sich noch keineswegs zum Hochgenuß, weil er seine bisherige Bedeutungslosigkeit sich ehrlich gestand. Sollte er auf Pump bei der Unsterblichkeit leben, wie mancher windige Geselle? Nein, einlösen wollte er den Wechsel, den er auf sich selbst gezogen.
    Nachholen galt es, was er versäumt, da er seine ganze Jugend vergeudet, den schönsten Theil seines Lebens verpraßt und verschwendet, ohne seinen wahren Lebensberuf auch nur zu ahnen. Nun er denselben erkannte und erkor ( konnte die Phrenologie denn lügen ?), wollte er Herz und Nieren nur diesem einem Ziele weihen.
    Er stand spät gegen Mittag auf, von Schlaflosigkeit und Träumen dichterischen Schaffens gepeinigt. Morgens im Bette wälzte er tausend Pläne; selbst das Aufstehen und sich Ankleiden als etwas Physisches störte ihn. Er schlang sein Frühstück hinunter, und ohne der Wirthin Zeit zu lassen, seine Stube aufzuräumen, machte er sich an die Arbeit, las und schrieb. Gegen Abend wanderte er weit hinaus in die City, um sein Dinner irgendwo aufzustöbern, da im Westend nur wenige Restaurationen liegen. Auch brauchte er einen langen Spaziergang, um die Säfte der stockenden Maschine

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