Größenwahn
Wintermorgen mit verkümmertem welken Herzen. Dem Ideale innerlichst geweiht, verdammte ihn ein Dämon, nach Sinnlichem zu schmachten. Am Abgrund taumelnd, verlor er sich selber und schleppte, gemein nun mit Gemeinem, die innere Kette seines Wahnsinns mit, wie der Galeerensclave seine Fessel. Genuß! Drängt nicht nach Genuß jedes Wesen? Und nur dem Idealisten – ach, nur ihm soll der Schmerz als Genuß genügen. Wer aller Gabea zum Genusse bar, dem blüht nur noch ein Islandmoos am Kraterrande: Entsagung .
War er denn schuldig? Hatte eigene Schuld ihn verstrickt in lächerlichen Wahn? Nein, das Schicksal einzig hatte es so gefügt, das tief in ihn gepflanzt den Keim der Leidenschaft, die selbstvernichtend zugleich vernichtet, was sie wild erstrebt.
Höre den Winterwind, wie er brausend hinheult über die öden Felder! Aus dem Schnee heben sich die dunkeln Sträucher, wie Kuchenbrocken aus einer Schicht von Sahne und Zucker. Fern ist noch die lenzliche Stunde, wo diese kahlen Aeste sich mit hellgrünen Knospenspitzen besetzen werden, freundlich angelacht von der warmbestrahlenden Mittagssonne. In diese brachen Flächen, noch des Winters ganze frostige Starre athmend, werden sich kleine Inseln greller Grasstriche einsprengen. Ob auch droben in den Wipfeln noch Alles todt und kahl, drunten schießt das Gras in üppiger Fülle empor. Immer höher züngeln und klettern die Keimtriebe des Frühlings hinan, bis sie auf den Kronen der Wälder ihr grünes Laubpanier ausstecken und siegesfroh schwenken über die junge Welt. Die Sonnengluthen werden goldig glitzern, als wolle die Natur Hochzeitfackeln entzünden, und alle Vögel werden jubiliren, wenn der große Naturmaler die Palette anlegt und beginnt, die Natur zu untermalen.
Ja, das Alles wird sein. Aber noch ist er nicht da, der Frühling, noch herrscht der Winter. Der Wind heult ein Sterbelied der Vergänglichkeit in tollem Vernichtungsdrang, wo er durch ächzende Wälder psalmirt. Und im Winde vernahm Rother ein Sterberöcheln, das ihn durchschauerte wie das seiner eigenen Seele, die Selbstmord an sich beging. Ihm war, als müßte er aufschreien nach oben: O Geist der Schönheit, verlaß mich nicht! Wie flammte einst sein Herz zum Reinen empor, wie schaute er tief ins Herz des Alls! Und nun – ein Federball erbärmlicher Triebe. Das Weib, die Quelle der bösen Lust, des Satans Stellvertreterin, hatte ihn fortgedrängt vom Lichte, der Hölle zu. Wie Herodias mit des Täufers blutigem Haupt, tanzte der Liebesdämon um ihn her mit seinem blutenden zuckenden Herzen, dem lebendigen Leibe entrissen.
Das Weib? War das Weib so schuldig? Hatte er sich nicht selbst entmannt? Wahnsinniger, Unglückseliger! Dein Größenwahn ist's, der sich aufbäumt gegen dein winziges Leid eines versagten Genusses? Wie Othello nährst du deine Eifersucht mit deinem beleidigten Hochmuth und möchtest schäumen wie er: »Mit meinem Lieutenant !« Was für Tugenden besitzest du denn, eitler Wurm, die dir ein Recht geben, mit Deinem Schicksal zu hadern? Laß die vergnügten Motten an der ewigen Lampe des Daseins zirpend verbrennen – du aber lerne begreifen, daß die Schläge des Schicksals den Symplegaden gleichen, den schwimmenden Felsen, von denen die Griechen fabeln: Mechanisch, von Zeit zu Zeit, klappen sie zusammen und zermalmen das Schiff, das zwischen ihnen hindurch will. Einzelvölker und Einzelleben – zermalmt, je wie es die Umstände des Zufalls wollen! Laß dein Klagen, laß dein Fragen, was du dem Schicksal gethan! Der Weltgeist, der das All durchfluthet und glorreich durch die Pulse jedes Helden strömt, hat Besseres zu thun, als sich um deine moralische Schwindsucht zu kümmern. Ueberwinde dich, unterwirf dich, und wenn du dich selber züchtigst durch deinen Größenwahn, so verstehe Ihn und danke Ihm!
Zweiter Band.
Eternity! Demand no direr name,
Descend and follow me down the abyss!
Shelley.
Fünftes Buch.
I.
Rother hatte sich soeben per Boot an Bord der »Libra«, eines englischen Steamers,
via
London, verfügt, der auf der Rhede in St. Pauli lag. Von dem schmutzigen Werft her scholl wüster Lärm. Tonnen rollten ins Wasser, Kisten wurden mit eisernem Krahn aufs Verdeck gehoben, Späne flogen umher. Ueber die Kajütentreppe rieselte Seifenwasser. Besen, Eimer, Bürsten und Wischer und Pumpen arbeiteten an allen Luken und Bänken umher. Der Steward roch nach Zwiebeln, die Stewardeß nach Spirituosen und die Bootsleute nach Theer.
Hamburg! Die
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