Größenwahn
kurz vor 11 Uhr wieder vorsprach. Sobald sie ihn erblickte, schoß sie mit einem kleinen Aufschrei auf ihn zu. – –
»Neulich sah ich Dich auf der Straße mit einem Andern zusammengehn. Du bemerktest mich auch und fast mich nicht gegrüßt. Ich dachte, Du würdest hinter mir herkommen ... aber nichts. ›Siehst Du,‹ sagte ich zu meiner Schwester, ›das ist meine verschmähte Liebe‹.«
Er stellte das natürlich in Abrede. »Ach, rede man ich. Wohl hast Du mich gesehn. Neulich auch glaubte ich Dich vor einem Bilderladen zu sehn ... ich trat an den Herrn heran, der Dir ähnlich sah ... da sah ich erst, er war lange nicht so hübsch wie Du. Ach, das ist den bei mir so eine Tollheit im Kopf: Ich sehe Dich überall, ich glaube Dich überall zu treffen und hinterher als ein Andrer.«
Sie erzählte dann eine Geschichte von ihrem Edelmuth, wie sie Unter den Linden einem überfahrenen alten Arbeiter die Droschke zum Nachhausefahren bezahlt. »Ja, die Reichen haben kein Herz, nur die Armen.«
Sie hatte ihm anfangs – sie blieben vorn, da hinten noch Weingäste saßen – gegenübergesessen, indem sie ihn ernstforschend betrachtete und die Beine bequem übereinanderschlug. Da er aber ihren Fuß dabei emporgehoben und geküßt hatte, sprang sie auf »dafür bekommst Du einen ordentlichen« und gab ihm einen Kuß, daß man es bis hinten hörte. »Ach was soll ich mich geniren! Mögen sie alle reden was sie wollen!« Damit setzte sie sich ihm auf den Schoß und ließ ihren Gefühlen freien Lauf.
»Erzähl mir wieder 'was Interessantes! Du weißt ja alles, alles!« Sie plauderten lang und breit und sie hörte ihm stets mit gespanntester Aufmerksamkeit zu.
Als Olga einmal an den Tisch kam, nahm sie zufällig Leonharts Handschuhe auf, die auf dem Tisch lagen. Dabei blieb ihr Auge plötzlich wie gebannt hängen. Aergerlich steckte er sie in die Tasche, ohne sich etwas dabei zu denken. – In ihrem Liebestaumel blieben beide bis zwei Uhr zusammen und sie selber geleitete ihn hinaus. – Als er nach Hause schritt, kam ihm ein plötzlicher Argwohn. Unter der nächsten Laterne prüfte er seine Handschuhe. Er wollte seinen Augen nicht trauen: da stand groß und breit sein Name! Die Waschanstalt hatte ihn beim Waschen hineingeschrieben und er hatte nichts davon bemerkt! – »Nun gut, wir wollen sehn« dachte er.
»Neulich hast Du gesagt,« hob sie an, »wir gehörten alle zum Thierreich. Dann frage ich mich nur, wozu es dann so viele furchtbar kluge Köpfe giebt – wie z.B. Dein Köppken da, Du!«
»Siehst Du, das hast Du wieder gar nicht verstanden, mein Kind. Nämlich, entwickelt aus dem Thierreich als höhere Gattung werden wir doch ewig bleiben, selbst wenn wir alle thierischen Functionen, als da sind: Essen, Trinken, Schlaf und Beischlaf« (sie lachte auf und steckte den Finger in den Mund, indem sie ihn lüstern anschielte), »völlig abwerfen könnten ...«
»Glaubst Du denn wirklich, daß das geschehen könnte?« unterbrach sie ihn hastig. »Ach, das wäre gar nicht schön. – Ja, was hat man denn sonst vom Leben?« Sie richtete sich straff auf und sah ihn funkelnden begehrlichen Auges an.
»Oho, da haben wir wieder den ollen knuftigen Weltschmerz!« lachte er auf. »Na, den vertreibe ich Dir, wenn wir erst verheirathet sind.«
»Wie er das sagt!« Sie fiel ihm um den Hals. »Ach, das wird ein Leben! Morgens stehn wir auf, trinken Kakau und« betonte sie mit Wichtigkeit »nichts dazu. Dann zweites Frühstück: Rührei mit Schnittlauch oder Sardellenbrötchen. Dann essen wir zu Mittag – ach, ein Spargelgemüse zum Beispiel –«
Er lachte unbändig. »Nein, diese Eßphantasie!«
»Nun ja,« schmollte sie. »Ich muß Dir doch angeben, wie ich Dich pflegen will. Denn was soll denn sonst,« flüsterte sie ihm schelmisch ins Ohr, »aus der Nacht werden? Am Nachmittag liest Du mir wundervolle Bücher vor. Und dann gehn wir gleich nach dem Essen zu Bett ... schon um zehn .« Dabei fiel sie ihm an die Brust und drückte sich fest an ihn an.
»Ach!« seufzte er mit ironisch übertriebener Affektation. »Wär's schon so weit!«
»Ja, das möchtest Du wohl gleich! ... Aber auf vier Wochen, nicht? O ich kenne Dich Bösewicht!«
»O nein,« sagte er, indem er sie glühend umarmte. »Ich liebe Dich wirklich.«
»Wahr und wirklich?« fragte sie schwimmenden Auges. »Sag' mal, wieviele hast Du geküßt seit vorigen Montag?«
Er sann nach. »Ich will mal genau nachdenken ... keine .«
»Keine? O!« Sie umschloß
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