Größenwahn
ihn mit beiden Armen in einem Paroxysmus der Leidenschaft. »O so komm doch, heirathe mich! Worum die Andern mich anbetteln, darum flehe ich Dich an. Reise mit mir fort, aus der ganzen Welt fort, an den Genfer See. Dort schaffst Du Deine wunderbaren Werke und ich setze mich zu Deinen Füßen und höre Dir zu ...«
»Meine wunderbaren Werke!« Es schmeichelte ihm aber doch. »Ach, die giebt's gar nicht! Ich schreibe ein Coursbuch.«
»Du mit Deiner dummen Ironie! Ja wohl schreibst Du sie.« Sie holte einen Augenblick tief Athem und ein tiefernster Ausdruck glitt über ihre Züge. »Ich habe alles verloren, alles, Mann, Geliebter und Freund. Alles was ich dachte, hab' ich mit meinem Mann getheilt. Und wenn man nun Niemanden mehr hat, dem man sich vertrauen kann und so isolirt lebt wie ich ... Vater, Mutter, Schwester – das ist alles nichts, die verstehen mich alle nicht. Und Freundschaft – pah! Das ist alles nur Falschheit, Neid, nichts andres. Man darf Keinem trauen.«
»Sehr richtig,« sagte Leonhart ruhig, »die einzige wirkliche Freundschaft ist die zwischen Mann und Weib.«
»Ja,« rief sie, »Dir, Dir möcht ich mich ganz vertrauen. O Deine treuen blauen Augen! So süß, so ... Wenn Du kommst, dann bin ich selig. Merkst Du nicht, wie meine Augen dann leuchten? Mit Dir plaudre ich ganz wie mit ... als wärst Du mein bester Freund. Und nicht wahr, Du wirst mich nie verrathen, Du wirst immer lieb zu mir sein?«
Das schöne Weib brach in Thränen aus und schmiegte sich an ihn, als wäre er ein Rettungsanker in allgemeinem Schiffbruch. Er beruhigte sie durch Liebkosungen und trocknete ihre Thränen mit seinen Küssen.
»Heut seh' ich schlecht aus, nicht?« fuhr sie plötzlich auf, und mit weiblicher Logik abspringend, erzählte er dann, wie sie beim Photographen gewesen sei und dieser ihr empfohlen habe, eine Parthie ihres Halses zu zeigen. Sie knöpfte dabei ihr Kleid oben auf, schlug den Sammetkragen hoch und zeigte, wie. »Mir war's ganz ungewohnt. Denn mein seliger Mann erlaubte nie, daß ich decolletirt ging. – Wenn wir Beide nächsten Winter zum Maskenball gehn, wie Du mir versprachst (nicht wahr, wir thun es doch?« Er nickte), »dann geh ich decolletirt. Denn dem Mann gehört Alles.«
»Ich bin aber noch nicht Dein Mann.«
»Das thut nichts. Du machst eine Ausnahme. Ach was heirathen! Man schafft sich einen guten Freund an. Ja, Du natürlich ... ei, sieh mal her!« Sie knöpfte blitzschnell ihre Taille auf und entblößte die schneeweißen wogenden Hügel. »Wie gefall ich Dir?«
...es war still, kein Gast im Lokal ... Vorn hörte man nur die Mamsells beim Dominospielen miteinander zanken ... sie waren so ganz allein ...
Aus Leonhart's Tagebuch.
Ich verachte einen Mann, zumal einen jungen Mann, der sich nicht eines Weibes wegen wie ein Narr oder ein Geistesgestörter benehmen kann. – So Aehnliches bemerkt Thackeray wiederholt in seinen Romanen, er, der feinste Menschenkenner der neueren Zeit. Im »Pendennis« findet sich eine schöne Stelle, wo der stolze knorrige Warrington dem jungen Pendennis seine Bekanntschaft anträgt. Als der freudig Erstaunte ihn später fragt, wie er zu dieser Auszeichnung komme, erwidert der ältere lebensgereifte Mann: er habe von der Jugendtollheit des jungen Herrn vernommen, wie er eine Schauspielerin, eine abgefeimte Kokette, durchaus heirathen wollte und mit Mühe vor diesem Wahnsinn bewahrt wurde. Das sei ihm das Merkmal einer tüchtigen Natur gewesen. – Tiefste Seelenkenntniß liegt in dieser Bemerkung.
Es scheint ein leicht begreifliches Naturgesetz, daß ideale und zugleich leidenschaftliche Naturen sich mit Vorliebe in rohe und gemein denkende Weiber verlieben. Der Fond ihrer idealisirenden Liebeskraft ist so groß, daß ebenbürtige und würdige Ideale nicht genügenden Stoff für diesen Ueberfluß von Gefühl und Hingebung bieten würden. Wie wäre sonst die wahnsinnige Leidenschaft genialer und großer Männer für so geringfügige oder verächtliche Liebesobjecte zu erklären!
Die erotische Begierde macht zwar manchmal Feige zu Helden, Faulpelze zu Fleißigen, und so fort. Aber viel häufiger tritt der Fall ein, daß sie, selbst wenn sie nebenbei zu höchster Anspannung aller Fähigkeiten reizt, den Charakter von Grund aus vergiftet und verschlechtert. Sie macht Verschwiegene indiscret, Wahrheitsliebende verlogen, Nobeldenkende brutal und boshaft. Sie verwirrt den Sinn für Pflicht und Recht, sie raubt jedes Gefühl der Selbstachtung
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