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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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verbreitete gleichsam eine unreine Athmosphäre um sich her, indem er über Jeden irgend eine dunkle Geschichte zu erzählen wußte. Seine theoretische Menschenverachtung verschanzte sich dagegen, edle Gefühle und Gedanken zu begreifen, weswegen er stets nach unlauteren Motiven forschte.
    »Hihi,« kicherte er, der Eine von den Kerls, der Redacteur Hermann Garibald Hoppel, – na der richtige Fatzke! Trägt den Spitznamen ›der Garibaldianer‹, weil sein Alter ihn aus Begeisterungs-Schmuß für den Italiano ›Garibald‹ getauft hat. Trieb sich in Süd-Amerika herum, weil er als Hauslehrer faule Chosen mit der Tochter vom Hause trieb. Bildete sich als Goldgräber in Chile zum Bret Harte'schen Strolch-Goldherz aus – punktum, streu Sand drauf! Immer zugeknöpft und finster. Hat ganz entschieden einen Mord da drüben auf dem Gewissen. Spielt den Vornehmen, dabei ein Schmutzian bis über die Ohren. Der Andere – o, auch köstlich! Ein riesiger Antisemit und heirathet drum immer Jüdinnen. Jetzt hat er schon die Dritte, aber die brannte ihm durch und macht unter dem Tittel ›Schriftstellerin‹ durch ganz Deutschland litterarische Besuchsreisen bei allen schönen und vermögenden Federschwingern. Verstandez-vous? Paß mal auf, zu Dir kommt sie auch noch.
    Leonhart lachte. »Du hast wieder. Deinen guten Tag. Die Menschen sind weder so gut noch so schlecht, wie man denkt oder wie man sie schildert. Das ist, glaube ich, ein altes Axiom – mir aber drängt es sich auf wie etwas Neues. Denn jeder Vernünftige wird doch zu gleicher Erkenntniß gelangen.«
    »Ach, habe Dir man nicht! Alles oberfaul, alles.
    Ueberhaupt schon die Jüdinnen! Wenn ich denke, als ich bei dem scheußlichen Millionenschinder Ruperti (wie die Bande sich immer auf's Italienische raustauft!) Sekretär war! Die dicke Madam geilte sich immer an mir ab und das Töchterlein Laura – na, die Kröte! Ruft mich mal heimlich ins Badezimmer, als sie halb am Ausziehen ist, natürlich in aller Unschuld – na, ich will nichts gesagt haben!« Schmoller strahlte nicht wenig von dem stillen Bewußtsein, er sei doch ein verdammt schöner Kerl. »O über diese ganze versumpfte Gute Gesellschaft! Da begreift man Dostojewski's ollen ›Raskolnikow‹, der einfach hingeht, um solch 'ne alte Geldlaus todtzuschlagen.«
    »Hm,« meinte Leonhart. »Aus Faulheit und Größenwahn. Dem Raskolnikow spukt ja fortwährend Napoleon im Gehirn – das hat Dostojewski sein berechnet.«
    »Na ja, so wie Napoleon Dir im Gehirn spukt, Raskolnikowchen,« grölte Schmoller.
    »Mir? Danke!« brummte Jener. »Ich dürfte denn doch wohl mehr die Rolle des Rasumichin spielen, bei Deiner eignen hohen Beanlagung zur Raskolnikow-Rolle.«
    »Was meinst Du damit?« fragte Schmoller mir einem stechenden Blick. »Uebrigens, das verstehst Du gar nicht. Ueber Raskolnikow kann nur Der mitreden – ja, mein Sohn, das ist die Noth, die Noth, die Du nicht kennst.«
    »Hm, mein Theurer, ich erlaube mir zu bemerken, daß der Artillerielieutnant a.D. Bonaparte wohl mehr gehungert hat, als unser imaginärer Freund Raskolnikow, der überall herumlumpt, – was Bonaparte gewiß verschmähte. Und doch ging er keineswegs hin, um eine alte Frau zu raubmorden, sondern er erwartete standhaft seine Stunde und eroberte die Welt. Wenn Du nicht verstehst, wie groß dieser Unterschied, so hast Du Dostojewski's tiefe Psychologie gar nicht verstanden.«
    »Pschah! Wie gesagt, was weißt Du von der Noth der untern Schichten!«
    »Und was weißt Du von einer philosophische Lebensauffassung! Das Allerbeste ist: zu lachen, sintemal so viel Lächerliches jede Minute wächst. Lache nur viel und vor allem leide nicht an Hyper-Gerechtigkeit, welche dem Pharisäismus sich manchmal nähert. Gott sei mir Sünder gnädig! Man muß mit Hamlet sagen: Ich bin selbst leidlich tugendhaft, dennoch stehn mir mehr böse Wünsche zu Gebot, als ich Macht habe sie auszuführen. Wenn sie nicht herauskommen, wer weiß, ob das mein Verdienst ist oder das der Umstände!«
    »Paperlapapp! Du red'st wie der Blinde voll der Farbe. Ueber das wahre Elend hilft all so'n Gethue nicht weg. Gestern genoß ich den Vorzug, einen Kohlenschipper zu sprechen, der zehn Jahre mit gebrochenen Beinen in einem dustern Keller lag. Tableau! Ach und dann all die andern Schandthaten! Daher auch die Lüderlichkeit bei den armen Leuten. Alle Konfirmandinnen von vierzehn Jahren sind schon keine Jungfern mehr. Da hilft nur noch praktisches Christenthum. – Ja wohl,

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