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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Utopisten, in Folge mangelhaft construirter Einbildungskraft, sich den Zustand der Menschen ihres Zukunftsstaates in keiner Weise klar. Wir wollen meinethalben annehmen, daß man die Blumen aus der Natur ausjäten, daß man alle feineren Individualitäten in der Wurzel vernichten, daß man die Künste und abstrakten Wissenschaften abschaffen, d.h. den Trieb und Wunsch nach idealen Thätigkeiten aus der Menschenseele entfernen könne. Diese Unmöglichkeit einmal angenommen, müssen wir umgekehrt erwarten, daß die große Masse, welche heut vom niedrigsten thierischen Egoismus gelenkt wird, sich idealisire – zwar nicht ästhetisch, aber moralisch. Bei der Vernichtung des persönlichen Arbeitsgewinns durch die Aufhebung des Privateigenthums müssen eine ideale Arbeitslust und Pflichttreue die rein der Sache wegen wirken, sowie eine fortwährende Selbstverleugnung zu Gunsten des lieben Nächsten angenommen werden. Aehnlich verhält es sich bei der sogenannten freien Liebe oder Frauengemeinschaft, welche außerdem nur für Maurergesellen und Dirnen überhaupt etwas Verlockendes haben mag. Auf der einen Seite sträubt sich jedes ideale Gefühl dagegen und auf der andern Seite verlangt die Durchführung der Theorie die idealste Selbstverleugnung des Einzelnen, der in seinen edelsten wie in seinen brutalsten Instinkten zugleich verletzt wird.
    Aendert die menschliche Natur von Grund aus, modelt uns alle um, macht uns zu mechanischen Freß-und Zeugungsmaschinen, zu Thieren oder umgekehrt zu brüderlichen Engeln – ohne diese Prämisse ist der Zukunftsstaat ein Unding.
    Auch dies Letzte endlich angenommen, würde man bei wirklich regelrechter und möglichst vollkommener Ausbildung dieses Staates allergünstigstenfalls nur urtheilen dürfen: Viele alte Uebel sind abgeschafft, viele neue hinzugekommen; viele neue Vorzüge hat dies System, viele alte hat es eingebüßt. Die Rechnung zwischen dem alten System, das die Menschheit nun 10000 Jahre weiterschleppt, und dem neuen deckt sich. Nun, meine Herrn, da bleibe ich lieber bei meiner alten Maschine, die zwar voller Fehler und Schwächen, aber durch unablässige Traditionen von Kind zu Kind geheiligt und wohleingeölt wurde. Wozu soll ich mir die Scheererei mit einer neuen ungeölten Maschine machen! Verlorene Liebesmüh!«
    Mit zunehmender Verwunderung, die sich zur Entrüstung steigerte, hatte das edle Kleeblatt diese offene Erklärung hingenommen.
    »Nu aber raus!« machte der philosemitische Antisemit seinem Grolle Luft.
    »Wen haben wir denn da? Einen communen Erzreactionär? Das ist der freisinnige, der revolutionäre Poete? Wir sind erstaunt, Herr Schmoller, wie Sie es wagen durften, diesen Herrn bei uns einzuführen.«
    »Das ist ein Mißbrauch des Vertrauens!« trumpfte der Garibaldianer mit dem Christuskopfe auf. »Herr Schmoller, verschonen Sie uns künftig mit Ihren Freunden! Und Sie, Herr, muß ich bitten, unsere Gesellschaft zu meiden. Wir als Vertreter des Volkes können solchen Verrath an den ewigen Prinzipien der Freiheit in unsrer Nähe nicht dulden.« Er stand, die Rechte in der Brusttasche, die Linke am Champagnerkelch, majestätisch da, so daß der Busen Olga's und Kneifer-Mary's sich von einem stillen jungfräulichen Athemzug des Verlangens hob und Frau Meyer murmelte: »Ein schöner Mann!«
    Leonhart erwiderte kein Wort, zahlte und ging mit stummem Gruß. Erst auf der Straße kam ihm Schmoller nach, der oben mich parlamentirt und seinen vollen Beifall zu der sittlichen Entrüstung der zwo Volksvertreter beigesteuert hatte.
    »Wir gehn wohl noch mal hier in die Kneipe nebenan?« sagte er halblaut. Leonhart nickte. – Das Lokal war zufällig ganz leer und sie nahmen in einem dunkeln Winkel Platz. Hier explodirte Schmoller. »Du hast mich blamirt,« rief er ein über das andere Mal »Aller Blicke im Lokal waren auf mich gerichtet.«
    »Auf Dich? daß ich nicht wüßte!« In seinem nervösen Verfolgungswahn waren freilich solche Selbstvorspiegelungen bei dem großen Sittenschilderer nichts Seltenes. Auch ließ Schmoller sich keineswegs durch Leonhart's Ruhe beschwichtigen, sondern schlug einen eigenthümlich provocirenden Ton an, der sich allmählich bis zur Grobheit steigerte.
    »Und Du scheinst noch gar nicht mal eingestehen zu wollen, daß Du den gesellschaftlichen Anstand taktlos verletztest?«
    »Mein Bester, jetzt höre auf! Ich freue mich, daß mir die Geduld riß und ich dem dummen Größenwahn der alleinseligmachenden Socialdemokratie ein kräftig

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