Größenwahn
befand sich Leonhart in stetem Nachtheil, daß gerade er die Dinge nie persönlich, sondern objectiv auffaßte, da er allein wahre Liebe zur Muse besaß. Ist es nicht schon an sich ein gräßlicher Widerspruch, den persönlichen Freund zu tadeln und den persönlichen Feind zu loben?! Und dabei faselte man noch von seiner Subjectivität!
Doch galt er Vielen als ein harmloser Esel, vom weltlichen Standpunkt aus. Freilich, wer nie im weltlichen Sinne sich wie ein Verrückter gebärdete, wer nicht Stadien einer krankhaften Zerrüttung durchzumachen hatte, ein solcher Dichter möge sich der hochlöblichen Regierung als Hülfsarbeiter melden. Litt nicht selbst der junge Goethe an hochgradiger Weltunfähigkeit, an der Unmöglichkeit, das Dichterthum mit dem realen Leben zu vereinen? Je weiter er sich von wahrer Dichterkraft entfernte, desto höher stieg sein weltliches Ansehn und seine olympische Weisheit, ein Wohlgefallen vor Gott und den Menschen. Erst der erlauchte Greis, auf den Höhen des Lebens angelangt, griff zu dem Streben seiner Jugend zurück und empfand mit abgeklärtem weihevollem Schmerz seinen »Faust«. Hätte seine robuste physische Constitution ihm aber nicht das Ausruhen einer so langen Lebensdauer zur Schöpfung seines größten Werkes gewährt, so würde er ewig als ein Abtrünniger vor uns stehen, der den Titanismus seiner Jugend nicht zu bewahren wußte. Wäre andrerseits Byron nicht so früh dahingegangen, so würde das unreife Urtheil, das nicht im »Don Juan« die Fortentwickelungskeime einer höchsten Shakespearischen Reife zu erkennen vermag, ihn nicht als fragmentarische Erscheinung betrachten. Nur Rafael und Mozart schieden in gleichem Alter als innerlich Vollendete, auch Burns lebte seine lyrische Naturanlage bei frühem Tod genügend aus, ebenso wie Schiller seine theatralische. Auch der Größte, Shakespeare, hatte wohl nichts Wesentliches mehr zu sagen, als er in der Mannheit Blüthe weggerafft wurde. Und nun daneben Marlowe und Kleist! Ach, vielleicht gehört es mit zum Genie, in hartem Selbsterhaltungstrieb sich zu behaupten. Wer sich physisch oben erhält, bleibt Sieger.
Immer wieder peinigte ihn das wirre Angstgefühl vor eingebildeten Machinationen von Schurken. Es kam so weit, daß er sich wuthknirschend am Boden wälzte. Wie Lenau stocherte er fortwährend im schwarzen Schlamm des Lebens umher und suchte nach Cholera-Baccillen. Sein Moralisiren verzärtelte ihn so, daß die bloße Betrachtung der Lebensgemeinheit ihn gradezu krank machte. So wirkt ja auch das sogenannte Ehrgefühl nur krankhaft, falls es die Verleumdung fürchtet, der ja doch niemand entgehen kann. –
Durch die Reaction des berechtigten Stolzes tritt Erhabenheit ein. Statt sich in weltklugem Phlegma zu verhärten, schwang er sich über sich selbst und seine Misèren empor, indem der unbegrenzte, ungebändigte Stolz des starren Individualmenschen sich zusammenkrampfte. Aber auch diese krampfhafte Steigerung des Selbstgefühls in einsamer Selbstbetrachtung diente nur dazu, sein Nervensystem vollends zu untergraben. Er mußte sich buchstäblich in die Haare greifen und krümmte sich wie ein Wurm, weil ihn andauernd die Vorstellung verfolgte, er stürze sich aus dem Fenster eines vierten Stockwerks. Mit voller Klarheit durchlebte er den Schwindel und die Todesangst des Falls. Dann trat dafür der gräßliche Wahn ein, daß er sich vor einen Courirzug stürze. Seine hartnäckige Phantasie klammerte sich an diese Wahnvorstellung wie sonst an andere kleinliche Nörgeleien. Wie ein Krampf kam fortwährend über ihn die ekelvolle Furcht vor der Eisenbahn, diesem eisernen Ungeheuer, das über alles fortrast, über alle Blumen des Lebens. Mußte diese selbstmörderische Psychose nicht eines Tages wirklich zum Verderben führen? Wer stets in den Abgrund starrt, und wäre er selbst schwindelfrei, stürzt endlich doch hinein. –
Seine Nervenkrankheit stieg auf den höchsten Grad. Da er alles that, um sein System zu vergiften, alle Abende schimpfend in den Cafés umherstöberte, ob man ihn immer noch todtschweige, und statt zu soupiren (sein Magen vertrug schon keine schwere Speise mehr) Kuchen aß und fünf schwarze Cafés hinter die Binde goß, – so zerrüttete seine ungeheure Produktivität ihn vollends.
»Morgen: Die Meeresbraut , Drama in 5 Akten von Xaver Graf Krastinik« stand an der Littfaßsäule. Leonhart kicherte häßlich in sich hinein. In der Nacht träumte er seltsam.
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