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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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das Hohelied einer wahren Versöhnung, einer Erhebung des Menschen aus irdischer Wirrsal, aus tiefer Ich-Not aufschreiend zur All-Liebe. Aber diese Stimme – tönte sie wirklich aus dem Geist des Verblichenen, oder tönte sie vielleicht aus des Nachtrauernden eigener Brust? Zum ersten Mal begann dieses begeisterungsfähige Gemüth kritisch an sein Idol heranzutreten und sich objektiv darüber zu stellen. Warum schwang sich denn Leonhart zu solcher Versöhnung niemals auf?!
    Wenn heut einem großen Dichter nun einmal keine andere Wahl gelassen scheint, nun, so besinne er sich nicht lange am Scheideweg des Herkules! Warum verzichtete er nicht gänzlich auf solche flüchtigen Werthungen der äußern Geltungseitelkeit? Warum schloß er sich nicht ab von der Welt und sank in majestätischem Schweigen, das Lächeln einer erhabenen Verachtung am den Lippen, ins Grab des Todtschweigens und der Verlästerung? War er doch von zu grobem Metall für solche goldklare Feinheit Gesinnung?
    Schopenhauer sprach das große Wort gelassen aus: Was sei alles Genie gegen vollkommene Güte des Herzens, welche Andern gegenüber jene grenzenlose Nachsicht übt die man sonst nur gegen sich selbst anwendet. Von dieser Herzensgüte besaß Leonhart viel, aber noch lange nicht genug. Freilich, da sich die kindische Selbstsucht und Eitelkeit der Menschennatur nirgends so schamlos entpuppt, wie in der sogenannten Litteratur, so bleibt es hier am schwersten, jene höchste Bethätigung der Herzensgüte zu üben – nämlich Gerechtigkeit , die sich auf den Standpunkt des Andern zu setzen und jene großen Gesichtspunkte zu bewahren weiß, vor welchen persönliche Freundschaft und Feindschaft verschwinden. Auch ist es mit der »grenzenlosen Nachsicht«, die Schopenhauer als vollkommene Herzensgüte rühmt, immer ein eigen Ding, da durch sie ja nichts gebessert wird. In der Kunst wird eine gewisse Art von Nachsicht ganz einfach zum Verbrechen. Wer das Große und das Kleine, das Genie und Talent, das Talent und Nichttalent gleichmäßig »anerkennt«, versündigt sich am Besseren durch Gleichstellung desselben mit dem Guten. Kann man es also Leonhart verdanken, wenn er manchmal heftig und zufahrig draufschlug?
    Jaja, die Herzensgüte! So rührend jene Phrase im Munde eines großen Mannes wirkt, dessen eigene Herzensgüte so mäßig entwickelt schien, so darf man dies Augenblicks-Aperçu doch wohl nicht ernst nehmen.
    Wiegt Passive Herzensgüte im geistigen Haushalt der Menschheitsentwickelung nicht vielmehr federleicht gegen jede produktive Bethätigung wahren Talents ? Auch wenn letzteres scheinbar zerstörend auftritt. Nun ja, das wohl. Aber Herzensgüte voll Nachsicht gegen fremde Gebrechen und voll Strenge gegen sich selbst – mag sie als seltenste Ausnahme nicht ab und zu vorkommen? Und wäre das nicht ein Ziel, aufs innigste zu wünschen? Steigt diese Güte wirklich bis zu einem hohen Grade, so tritt sie freilich stets produktiv auf, wie bei Christus und Buddha, da sie die Lüge und Gemeinheit der Welt zu reformiren trachtet.
    Genie ist Initiative. Allerdings muß das Glück nachhelfen. Der bloße Mann der That ist ja bloß der Sklave der Außenwelt, aber der Denkerschöpfer ist darum noch lange nicht Herr der Außenwelt. Seine Studirstube mag ihm als der Archimedische Punkt erscheinen, von dem aus man die Welt aus den Angeln hebt. Doch die Außenwelt stört eben wie jener römische, Legionär die Kreise des Archimedes und schlägt ihm den Kopf ab. Ohne Glück und Erfolg erlahmt die Initiative des Genies.
    Aber lag nicht auch in Leonharts Initiative eine selbstbetrachtende Absichtlichkeit? Wäre er naiv fürbaß, geschritten, so würde die Initiative auch frischer, und ursprünglicher herausgesprudelt sein. Der kommt am weitesten, welcher nicht weiß, wohin er geht – sagt Oliver Cromwell.
    Gewiß lag etwas Zielbewußt-Heroisches in Leonharts Leben. Krastinik kannte es aus der umfassenden Darlegung seines Freundes genau, der freilich immer an sich unleugbare Thatsachen noch pessimistisch färbte. Seit frühster Kindheit war dieser Mensch von dem Bewußtsein seines Dichterberufes durchdrungen gewesen. Seit seinem dreizehnten Jahre durchkostete er eigentlich die gleiche Bitterniß, wie jetzt am Ende seiner kurzen überreichen Laufbahn. Als Knabe umgeben von kindischer Roheit und Dummheit, einfältige Holzköpfe als »Lehrer« über sich, ihr werthloses Kanderwälsch dem feurigen Adlergeiste aufpfropfend, dessen ironisches Lächeln diese

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