Größenwahn
gespreizt, nun plötzlich zu entdecken (– denn, ohne es zu gestehen, besitzt der Neid ja Argusaugen für das Größere –), daß ein Anderer von dem trügerischen Apollo noch viel bedeutendere Vicekönigs-Vollmachten erhielt! Das scheint gleichsam ein Betrug des Schicksals, ein Verrath der Muse, und sich dafür zu rächen, blieb als letztes Labsal dem Ex-Minister des Parnaß!
Warum entbehrte denn Leonhart dieses humoristischen Mitleids? Allerdings darf man sich nicht verhehlen, daß Jeder sich selbst der Nächste ist. Steuert man daher nicht den zügellosen Orgien neidgelben Größenwahns, so verzögert sich die Erkenntniß der Wahrheit, an der man sich somit durch lässiges Zusehen versündigt. Und hier handelte es sich freilich nicht um die Person des Dichters, sondern in ihm um die Zukunft der Poesie. Man konnte Leonhart gewiß nicht verwehren, daß er sich deren erwehrte, die seinem Dichterthum ans Leben wollten. Aber er hätte denn doch – das Recht ihm zugestanden, daß er selbst lebe – den Satz der Humanität mehr beherzigen sollen: » Die Andern wollen auch leben .« Die sprüchwörtliche Antwort darauf »
Je ne vois pas la nécessité
« ziemt sich für einen Weltmann, aber nicht für einen Prediger des Idealen.
Wohl kennt die Welt keinen andern Prüfstein des Werthes, als den Erfolg . Wer früher über einen Alvers spöttelte, gehörte jetzt gewiß zu seinen lautesten Schmeichlern. Was manche »Unabhängige« an Leonhart benörgelten, das beräucherten sie ja jetzt schon nach seinem Tode. Denn die Menschen sind zwar sehr beschränkt und sehr boshaft, doch nicht so sehr, daß sie nicht zu Sinnen kämen, wenn ihnen das Flammenschwert der Wahrheit direkt ins Auge fuchtelt. Gewiß, der Mannesstolz vor Fürstenthronen wird immer verdächtig, wenn er sich an Könige- ohne -Land richtet. Trotzalledem brauchte Leonhart wahrlich nicht in eine solche Rage zu gerathen, wenn seine »Judasse«, wie er das charakteristisch im Vertrauen Krastinik gegenüber nannte, ihm als sauertöpfische »Aufrichtigkeit« angebliche Wahrheiten ins Gesicht warfen, die er als hohl und wesenlos erkannte.
Kurz, wohin der Graf auch blicken, wie auch immer er sich das Bild seines todten Idols vergegenwärtigen mochte, überall fand er jetzt Kleinliches und Schwächliches. Alles in der Welt hat zwei Seiten; es kommt darauf, von welcher Seite man es sieht. Erhabener Stolz – Eitelkeit unbefriedigter Ruhmsucht – wie nahe hängt das zusammen! Nein, Leonharts geistige Größe hatte zu moralischer Größe sich nie emporgeschwungen. Das höchste, das moralische Genie blieb ihm versagt. Wohl war's der Größenwahn des Genies, aber selbstüberhebender Größenwahn lallte auch hier.
Die Krankheit des Jahrhunderts hatte auch ihn verzehrt, in ihm ihre herrlichste Beute gefunden. Sein Ich über alle menschlichen Schranken hinaus dem Schöpfer entgegenspreizen – das ist nicht Größe, das ist Großmannssucht. Die wahre Größe und die wahre Weisheit ist demüthig, weil sie es sein muß , ehrfürchtig dem Unerforschlichen sich beugend. Den Kampf an Jaboks Furth, Gott wider Mensch, besteht auch der stärkste Ringer nur mit verrenkter Hüfte. Wer Gott nur als Tyrannen anerkennt, der vom Gewaltthron niederglotzt auf den Freien, den er foltert, – der wird den Verborgenen nimmer schauen, der in Allem sich offenbarte, wird nie in inniger Gottverschmelzung den Weltumlauf vollbringen, wird nie sich freudig verbluten im heiligen Feuer der Lebensgemeinschaft mit Gott.
Krastiniks Idol lag in Stücken. Das war kein Messias, das war ein schwacher sündiger Mensch wie alle, nur mit dem Zufall einer abnorm feinen Gehirnstruktur, vielleicht auch mit doppeltem Hirngewicht, wie sich bei Byron's phänomenal kleinem Schädel bei der Leichenobduction ergab. Das war alles. Höchstens seine innere Wahrhaftigkeit vor sich selbst, wie sie ja auch theilweise den verschwiegenen Blättern dieses Tagebuchs anvertraut, die unbestechliche Selbsterkenntniß erhob ihn über die Menge. Aber die rechte Selbsterkenntniß war es doch nicht. Denn die hätte ihn über sich selbst erhoben. Sich erkennen heißt Gott erkennen, aus dem menschlichen Nichts sich zum Ewigen hinüberretten in Demuth und Entsagung.
Das alles wurde dem einsamen Denker nur halbbewußt und instinktiv klar. Er empfand es wie den Gnadenstoß, wie den Todesstreich seiner Geistesentwickelung. In dem Todten hatte er einen Uebermenschen und Heros gesehen, dessen Cultus er auch nach dem Tode mit der Pietät
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