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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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andere, in ewigem Auferstehen ringt ihr zu nie gefundenem Ziel. Warum, wozu? Warum immer neue Zeiten und neue Wesen, lärmend und brandend, bis daß sie in Schaum zergehen?
    Der wechselnde Strom des Lebens braust hinab in die ewige Leere und wir versinken mit unsrer Zeit in dem einen, dem ewigen Grab.
     

VI.
     
    Der Rheindampfer (einer der letzten der Saison) fuhr rheinaufwärts. Die Wandeldekoration der Burgen und Kirchen glitt vorüber. Schon wurde Lorch passirt.
    Krastinik mußte bald einsam am Stern promeniren, da er die naiven Sonntagsreisenden des Dampfers nicht vertragen konnte.
    Einen Vielgereisten peinigt manchmal das Geschwätz von Neulingen, wie prahlende Unwissenheit. Fahren Berliner nach Heringsdorf oder Misdroy übers Haff, so glauben sie eine ansehnliche Seereise zu machen und vergleichen dabei die Ostseedampfer mit den Dampfern auf dem Vierwaldstätter See, um durch diesen unmöglichen Vergleich ihre Vielgereistheit darzuthun. Aehnlicher Austausch ungeheurer Erfahrungen schwirrte auch hier hin und her, so daß der finstre Weltbummler es wie eine Beleidigung empfand, die glückliche Unschuld der harmlosen Reisenden neben seinen (doch auch noch recht jungfräulichen) Reisekenntnissen dulden zu müssen. Denn es bleibt doch immer wahr: Wer am meisten erlebte, schweigt.
    Die Sonne ging zur Rüste. Alle Ferngläser richteten sich nach der Seite des Niederwalds, wo die Bildsäule der Germania den Rheingau bewacht. Eine kleine Musikbande, die an Bord gekommen war, spielte die Wacht am Rhein. Patriotische Gespräche wurden laut, man erwog den nahenden europäischen Krieg und seine Chancen. Jemand zog eine Zeitung vom gestrigen Tage aus der Brusttasche, woselbst unser großer nationaler Sänger, Regierungsrath Adalbert von Alvers, seinen Gefühlen in einigen kurzen Strophen »Rheinfahrt« Luft gemacht:
     
    Die ehernen Waffen blitzen
    In scheidender Sonnenglut
    Und über der Berge Spitzen
    Rieselt es hin wie Blut.
    Die Burgen starren wie Drachen
    Wildzackig in die Flut,
    Als wollten sie bewachen
    Niflung's versunkenes Gut.
     
    Hei, Gold der Nibelungen,
    Dich hob der Enkel Stahl.
    Der Tiefe ward entrungen
    Der alten Krone Strahl.
    Doch Hunnenstürme brausen
    Von Ost und West zumal.
    Noch muß der Balmung sausen
    Durch Feinde ohne Zahl.
     
    Während er schweigsam, die Hände auf dem Rücken, unter den Reisenden stand und ihre Gefühle theilte, ergriff den Grafen plötzlich die Einsicht, daß er ja gar nicht unter sie gehöre! Er hatte sich im letzten Jahre so gänzlich prussificirt, in Deutschthum eingelebt, daß ihm seine Nicht-Zugehörigkeit gar nicht mehr in Erinnerung lag. Jetzt aber mußte er ja seine Entfremdung fühlen, jetzt wo er auf der Heimreise zum fernsten Ende des »Globus von Ungarn« eilte. Also auch dies Idol wurde ihm entrissen; sein Adoptiv-Vaterland, in das er sich eingelebt, wie in sein eigenes, wandte ihm langsam den Rücken.
    Glückliche große Nation! Durch nichts vom Glück begünstigt, nur durch eigene Kraft zur Größe gelangt! Und als Symbol an ihrer Spitze den auferstandenen Barbarossa, den kaiserlichen Greis, der alle Geschicke Deutschlands von 1806-70 in sich durchkämpft. Und je älter er wurde und je schwerer seine Bürde, um so milder und gütiger wurde sein väterliches Gemüth. Wohl war er davon durchdrungen, daß er seine Krone direkt von Gottes Gnaden trage, mehr, als einem Sohne der Aufklärungszeit gestattet sein mochte. Aber dies Bewußtsein, daß er ein Gotterkorener, unterschied sich wenig von dem Bewußtsein jedes Heroen, daß ihm eine würdevolle Mission beschieden sei. Denn nicht zu vererben noch gähnend abgelehnten Rechten schien ihm die Krone, sondern neu zu erwerben und zu verdienen durch treue Pflichterfüllung des Thronberufes. Demüthig fühlte er sich nur als ein Gefäß der göttlichen Gnade und jeder persönliche Größenwahn lag hinter ihm in wesenlosem Scheine. Würdig und züchtig, ein Kriegsmann des Allerhöchsten, in makelloser Vornehmheit stand er auf seines Thrones Stufen, die Hand wohlwollend ausgestreckt zum Schirm des Schwachen. Das kleine durchdringende Auge unter der hochgewölbten breitknochigen Stirn und die langgedehnte Nase erinnerten an das größte und weiseste der Thiere, welches die indischen Arier als Gottkönig des Thierreichs verehrten: den Elephanten.
    Dem Grafen traten wahrhaftig Thränen in die Augen, als er zu dieser stillen Majestät echten Manneswerthes, der sich aus den Schlacken und Beschränktheiten seiner Jugend zu immer

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