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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Hinsicht ist schon so groß, aber.. das kann ich nicht.«
    »Was steht denn hier?« sagte sie plötzlich, groß und kindlich zu ihm aufblickend, indem sie wie verwirrt das Modejournal von sich schob. Der ganze Rand war mit dem Namen »Eduard R.« bekritzelt. Er sollte verstehen.
    »Närrchen!« Er lächelte schwermüthig. »Hast Du Dich mal in Gedanken mit mir beschäftigt?« Sie schnitt ein reizendes Gesicht. Eduard war eine einfache Natur, aber er fühlte, daß sie ihm in diesem Moment um den Hals fallen wollte. Er aber übte tapfere Entsagung – theilweise aus Stolz und Berechnung, weil er wohl sah, daß seine Ruhe auf sie einen doppelt tiefen Eindruck machen mußte, theils weil er sich überhaupt zu solcher Liebesscene nicht gestimmt fühlte, da ihn ein dringendes Bedürfniß quälte und er doch diesen Hochmoment nicht durch eine cynische Frage herabziehn durfte. (Kathi war mehrmals während der Zeit hinausgepilgert.) So mischt sich der reinsten Romantik die erbärmlichste Trivialität der physischen Natur. Platonische Entsagungsgröße aus hygienischer Rücksicht.
    »Also endlich denn lebwohl! Wenn es auch zwischen uns nichts werden sollte, so wollen wir doch stets gute Freunde bleiben. Und darauf wollen wir uns die Hand gehen – als gute Kameraden.« Sie schüttelten sich die Hand, indem sie zaghafter, also liebevoller wie er, ihre breite Rechte in seine schmalen blutlosen Finger legte und vor sich niedersah. Das Weinen schien ihr nahe. Wieder machte sie ein Gesicht, als ob sie etwas erwarte – –. Aber er that es nicht. Mit einem Seufzer nahm sie die Lampe und öffnete ihm die Thür. »Bitte, nimm auch Abschied von meiner Wirthin!« bat sie. Diese saß im Nebenzimmer und nähte. Sie sah ärgerlich aus, weil der Abendspaziergang so verzögert wurde. Er lüftete den Hut und sie dankte etwas trocken. »Also adieu!« zögerte er auf der Schwelle. »Und Sie schreiben mir also dann gleich?«
    »Nein, Sie wollen doch zuerst schreiben?«
    »Ja wohl, gut. Aber erst nach einiger Zeit.«
    »Ich – ich möcht' Ihnen noch gern ein Andenken mitgeben. Wenn ich nur wüßte, was!«
    »Das ist hübsch von Dir. Halt.. laß mich noch mal Dein ›Poesiebuch‹ sehn!« Sie trug die Lampe, welche ihr kräftiger Arm straff emporgehalten, wieder zurück und reichte ihm eiligst das Gewünschte. Er blätterte. Da stand noch ein Gedicht. »Von wem ist das?«
    »Auch von mir,« sagte sie neckisch, mit funkelnden Augen.
    »Pah, Unsinn.«
    »Auf Wort! Willst Du's haben?« fragte sie hastig. »Reiß Dir's raus! Ich schenk' Dir's.« Er steckte es in sein Notizbuch. Die Wirthin hatte sich schon angezogen; er durfte nicht länger bleiben.
    »Also nochmals adieu, adieu.« Sie drückten sich zärtlich die Hand. »Auf Wiedersehn!« Sie sagten es fast zugleich und mit derselben verhaltenen Innigkeit des Tons.
    Er riß sich los und stürzte die Treppe hinunter.
    Besonderen Seelenschmerz spürte er nicht. Eigentlich war er innerlich froh, für Monate seiner Leidenschaft entzogen zu sein, und doch schien ihm ein geheimnißvolles Weh durch alle Poren zu strömen.
    Die Wolken droben wichen nicht, gewitterliches Dunkel brach herein. Und die Wolken im Herzen ballten sich zusammen in banger Schwere. Er sah nicht Wesen noch Dinge um sich her, nur einen leeren Raum, in dem seltsame Schatten huschten. Es durchrieselte ihn frostig, als ob der Mond über ihm auf öde Ginsterhaide strahle oder auf ein mattfarbiges Meer, wo er verschlagen in leckem Boot. Im Flüstern der Abendwinde vernahm er einen unsagbaren Ton, der wie ein ferner Harfenton entfloh – eine seltsame Variation über die Melodie:
     
    »Ich liebe Dich so tief, so tief, so tief!
    Das stand im letzten Brief.« – –
     
    Sein erster Gedanke nach diesem Trennungsschmerz von Scheiden und Meiden galt der Erledigung seines verhaltenen Bedürfnisses; sein zweiter, sobald er die Stadtbahn bestiegen, der nochmaligen Lectüre des Gedichtes.
    Es lautete, als wäre es schlecht memorirt:
     
Erinnerung.
    Erinnerung, sie ist die Blume,
    Von Jeglichem wohl gern gehegt.
    In unsers Herzen Heiligthume
    Hat sie ein guter Gott gelegt.
    Oh! pfleg sie warm Dein ganzes Leben
    Denn nur im Licht und Sonnenglanz
    Im Strahl der warmen Freundessonne
    Erblüht die Blume voll und ganz .
     
    Erinnerung blinkt am Lebenshimmel
    Wohl Allen lieb als lichter Stern,
    Sie bleibt bei uns, auch wenn wir einsam
    Von Allem was wir lieben fern.
    Weit über Ströme über Zeiten
    In Leid und Lust in Wort und Lied
    Schlägt sie die

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