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Grolar (German Edition)

Grolar (German Edition)

Titel: Grolar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Nesch
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leeren. Aber den Gefallen tat ihm der Bär nicht.
    Dann war er endlich bei ihm, »Andy!«
    Ray verzog das Gesicht, bevor er ihn sich von nahem ansah. Er ahnte die Schwere seiner Verletzungen.
    Er hatte eine Menge Blut verloren, ein Ohr fehlte und tiefe Schnittwunden im Gesicht, am Hals und an den Armen, aber er könnte es schaffen, soweit er das beurteilen konnte.
    »Andy.«
    Seine nasse Kleidung glich der einer Vogelscheuche.
    »Ich bin's, Ray. Es wird alles gut. Halte durch, Junge.«
    Seine Augen rollten blind vor Blut ihn ihren Höhlen, aber sein leises Stöhnen nahm Ray als Antwort.
    »Ich hole dich hier raus.«
    Andys Arm sank herunter und hing ausgestreckt über die Stahlkette.
    »Du kommst wieder in Ordnung.«
    Er stand unter Schock, ein zierliches Blubbern entwich seinen geschundenen Lippen, aus denen das Blut pulsierte. Sein Arm zuckte. Die Ärmel seiner Jacke und seines Hemdes waren von der Schulter an abgerissen, nackt lag der Arm da mit seinen Schnittwunden, ausgefranst hingen die Hautlappen an den Rändern der aufgeschlitzten Haut, Fleischwunden unterschiedlicher Tiefe sah er, durchtrennte Muskeln, aber eine Ader war nicht verletzt, das konnte Ray erkennen. Seine Finger hatte Andy zu einer schlaffen Faust geballt, wobei die Fingerkuppe des Ringfingers fehlte, der Zeigefinger stand ausgestreckt ab. Im Rhythmus seines Pulses wippte die Hand einen Zentimeter auf und ab. Der Zeigefinger.
    Zeigte er auf etwas?
    Dort lag nur das Schlammloch, dessen Oberfläche sich unter dem Regen kräuselte und ein Rauschen erzeugte wie ein kleiner Wasserfall.
    Gedankenblitze zuckten durch Rays Kopf. Wie tief war das Schlammloch? Konnten Grizzlys tauchen? Und wenn, wie lange?
    Das war es. Andy wollte ihn warnen. Wie ein Stromstoß traf ihn die Erkenntnis. Und während er das Gewehr in Anschlag brachte, was ihm vorkam wie eine Ewigkeit, wölbte sich die braune Wasseroberfläche, bevor sie von einem mächtigen Schädel durchstoßen wurde. Ein riesiges Maul, offen, brüllend, Speichel und Schlamm spuckend, die Tatzen erhoben mit ihren machetenähnlichen Krallen, so stieß das Biest aus dem Schlamm, einem verdrängten Albtraum gleich.
    Ray schoss und traf die Flanke, erkannte, dass er zum Nachladen keine Zeit hatte, und rollte sich rückwärts an Andy vorbei über die Kette, bis er unter den Drehturm des Baggers fiel. Auf der anderen Seite prallte das Monster gegen den Stahl und erschütterte den Bagger.
    Wie ein Kind unter einen Tisch so krabbelte Ray unter den Caterpillar. Oben wütete die Bestie, und Ray lud nach, wobei seine feuchten Finger über das Gewehr glitten. Liegend kauerte er unter den zwanzig Tonnen Stahl, die wie bei einem kleinen Erdbeben zitterten.
    Von Andy hörte er keinen Laut, nur dieses Grollen, Grunzen und Schmatzen und das Kreischen der Krallen auf Metall. Dann ein dumpfes Batschen, als Andys Hand hinter dem Bagger im Kies auftraf.
    Ray kniff die Augen zu und drehte den Kopf zur Seite, stöhnte selbst unter dem Bild, das sich in ihm eingebrannt hatte. Er blinzelte, einfach, damit er etwas anderes sehen musste. Durch die Kettenräder konnte er nichts erkennen, Krusten alter Erde verklebten mit frischem Schlamm die Ritzen, und er war froh darum.
    Ein Bär war es, aber was für ein Bär? Das war doch kein Grizzly! Er kannte Grizzlys. Von dem weißen Fell des Albinos konnte keine Rede sein, die Bestie war so braun wie der Schlamm, aus dem sie auftauchte. Der Kopf war anders geformt, und er war viel zu groß, das Tier selbst war viel zu groß. So groß, dass Ray auf sein Gewehr schaute und ihm die fünf Kugeln im Magazin zu winzig und zu wenig vorkamen, gegen dieses apokalyptische Monster. So klein wie der Sohn von Jon auf seiner Zeichnung kam er sich vor. Der Junge hatte diesen Bären gesehen, kein Zweifel, und er hatte überlebt. Vielleicht ließ er einfach von ihm ab? Schließlich hatte der Bär keine Chance, den Bagger umzukippen.
    Er hörte nur noch den Regen, ein schweres Schnaufen und seinen eigenen Atem. Wenn er sein Gewicht verlagerte, schnirkste der Schlamm unter seinem Körper.
    Viel Platz hatte er nicht nach oben, trotz ihrer Breite waren die Ketten des Baggers tief in das aufgeweichte Erdreich eingesunken. Wenn er den Kopf anhob, berührte seine kahle Stelle am Hinterkopf den kalten Stahl des Unterbodenblechs.
    Von hier aus konnte er den Anfang der Rampe sehen.

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